1924 Голодарь (сборник)
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Ein Trapezk"unstler – bekanntlich ist diese hoch in den Kuppeln der grossen Varieteb"uhnen ausge"ubte Kunst eine der schwierigsten unter allen, Menschen erreichbaren – hatte, zuerst nur aus dem Streben nach Vervollkommnung, sp"ater auch aus tyrannisch gewordener Gewohnheit sein Leben derart eingerichtet, dass er, so lange er im gleichen Unternehmen arbeitete, Tag und Nacht auf dem Trapeze blieb. Allen seinen, "ubrigens sehr geringen Bed"urfnissen wurde durch einander abl"osende Diener entsprochen, welche unten wachten und alles, was oben ben"otigt wurde, in eigens konstruierten Gef"assen hinauf- und hinabzogen. Besondere Schwierigkeiten f"ur die Umwelt ergaben sich aus dieser Lebensweise nicht; nur w"ahrend der sonstigen Programmnummern war es ein wenig st"orend, dass er, wie sich nicht verbergen liess, oben geblieben war und dass, trotzdem er sich in solchen Zeiten meist ruhig verhielt, hie und da ein Blick aus dem Publikum zu ihm abirrte. Doch verziehen ihm dies die Direktionen, weil er ein ausserordentlicher, unersetzlicher K"unstler war. Auch sah man nat"urlich ein, dass er nicht aus Mutwillen so lebte, und eigentlich nur so sich in dauernder "Ubung erhalten, nur so seine Kunst in ihrer Vollkommenheit bewahren konnte.
Doch war es oben auch sonst gesund, und wenn in der w"armeren Jahreszeit in der ganzen Runde der W"olbung die Seitenfenster aufgeklappt wurden und mit der frischen Luft die Sonne m"achtig in den d"ammernden Raum eindrang, dann war es dort sogar sch"on. Freilich, sein menschlicher Verkehr war eingeschr"ankt, nur manchmal kletterte auf der Strickleiter ein Turnerkollege zu ihm hinauf, dann sassen sie beide auf dem Trapez, lehnten rechts und links an den Haltestricken und plauderten, oder es verbesserten Bauarbeiter das Dach und wechselten einige Worte mit ihm durch ein offenes Fenster, oder es "uberpr"ufte der Feuerwehrmann die Notbeleuchtung auf der obersten Galerie und rief ihm etwas Respektvolles, aber wenig Verst"andliches zu. Sonst blieb es um ihn still; nachdenklich sah nur manchmal irgendein Angestellter, der sich etwa am Nachmittag in das leere Theater verirrte, in die dem Blick sich fast entziehende H"ohe empor, wo der Trapezk"unstler, ohne wissen zu k"onnen, dass jemand ihn beobachtete, seine K"unste trieb oder ruhte.
So h"atte der Trapezk"unstler ungest"ort leben k"onnen, w"aren nicht die unvermeidlichen Reisen von Ort zu Ort gewesen, die ihm "ausserst l"astig waren. Zwar sorgte der Impresario daf"ur, dass der Trapezk"unstler von jeder unn"otigen Verl"angerung seiner Leiden verschont blieb: f"ur die Fahrten in den St"adten ben"utzte man Rennautomobile, mit denen man, wom"oglich in der Nacht oder in den fr"uhesten Morgenstunden, durch die menschenleeren Strassen mit letzter Geschwindigkeit jagte, aber freilich zu langsam f"ur des Trapezk"unstlers Sehnsucht; im Eisenbahnzug war ein ganzes Kupee bestellt, in welchem der Trapezk"unstler, zwar in kl"aglichem, aber doch irgendeinem Ersatz seiner sonstigen Lebensweise die Fahrt oben im Gep"acknetz zubrachte; im n"achsten Gastspielort war im Theater lange vor der Ankunft des Trapezk"unstlers das Trapez schon an seiner Stelle, auch waren alle zum Theaterraum f"uhrenden T"uren weit ge"offnet, alle G"ange freigehalten – aber es waren doch immer die sch"onsten Augenblicke im Leben des Impresario, wenn der Trapezk"unstler dann den Fuss auf die Strickleiter setzte und im Nu, endlich, wieder oben an seinem Trapeze hing.
So viele Reisen nun auch schon dem Impresario gegl"uckt waren, jede neue war ihm doch wieder peinlich, denn die Reisen waren, von allem anderen abgesehen, f"ur die Nerven des Trapezk"unstlers jedenfalls zerst"orend.
So fuhren sie wieder einmal miteinander, der Trapezk"unstler lag im Gep"acknetz und tr"aumte, der Impresario lehnte in der Fensterecke gegen"uber und las ein Buch, da redete ihn der Trapezk"unstler leise an. Der Impresario war gleich zu seinen Diensten. Der Trapezk"unstler sagte, die Lippen beissend, er m"usse jetzt f"ur sein Turnen, statt des bisherigen einen, immer zwei Trapeze haben, zwei Trapeze einander gegen"uber. Der Impresario war damit sofort einverstanden. Der Trapezk"unstler aber, so als wolle er zeigen, dass hier die Zustimmung des Impresario ebenso bedeutungslos sei, wie es etwa sein Widerspruch w"are, sagte, dass er nun niemals mehr und unter keinen Umst"anden nur auf einem Trapez turnen werde. Unter der Vorstellung, dass es vielleicht doch einmal geschehen k"onnte, schien er zu schaudern. Der Impresario erkl"arte, z"ogernd und beobachtend, nochmals sein volles Einverst"andnis, zwei Trapeze seien besser als eines, auch sonst sei diese neue Einrichtung vorteilhaft, sie mache die Produktion abwechslungsreicher. Da fing der Trapezk"unstler pl"otzlich zu weinen an. Tief erschrocken sprang der Impresario auf und fragte, was denn geschehen sei, und da er keine Antwort bekam, stieg er auf die Bank, streichelte ihn und dr"uckte sein Gesicht an das eigene, so dass es auch von des Trapezk"unstlers Tr"anen "uberflossen wurde. Aber erst nach vielen Fragen und Schmeichelworten sagte der Trapezk"unstler schluchzend: "Nur diese eine Stange in den H"anden – wie kann ich denn leben! " Nun war es dem Impresario schon leichter, den Trapezk"unstler zu tr"osten; er versprach, gleich aus der n"achsten Station an den n"achsten Gastspielort wegen des zweiten Trapezes zu telegraphieren; machte sich Vorw"urfe, dass er den Trapezk"unstler so lange Zeit nur auf einem Trapez hatte arbeiten lassen, und dankte ihm und lobte ihn sehr, dass er endlich auf den Fehler aufmerksam gemacht hatte. So gelang es dem Impresario, den Trapezk"unstler langsam zu beruhigen, und er konnte wieder zur"uck in seine Ecke gehen. Er selbst aber war nicht beruhigt, mit schwerer Sorge betrachtete er heimlich "uber das Buch hinweg den Trapezk"unstler. Wenn ihn einmal solche Gedanken zu qu"alen begannen, konnten sie je g"anzlich aufh"oren? Mussten sie sich nicht immerfort steigern? Waren sie nicht existenzbedrohend? Und wirklich glaubte der Impresario zu sehn, wie jetzt im scheinbar ruhigen Schlaf, in welchen das Weinen geendet hatte, die ersten Falten auf des Trapezk"unstlers glatter Kinderstirn sich einzuzeichnen begannen.
2. EINE KLEINE FRAU
Es ist eine kleine Frau; von Natur aus recht schlank, ist sie doch stark geschn"urt; ich sehe sie immer im gleichen Kleid, es ist aus gelblich-grauem, gewissermassen holzfarbigem Stoff und ist ein wenig mit Troddeln oder knopfartigen Beh"angen von gleicher Farbe versehen; sie ist immer ohne Hut, ihr stumpfblondes Haar ist glatt und nicht unordentlich, aber sehr locker gehalten. Trotzdem sie geschn"urt ist, ist sie doch leicht beweglich, sie "ubertreibt freilich diese Beweglichkeit, gern h"alt sie die H"ande in den H"uften und wendet den Oberk"orper mit einem Wurf "uberraschend schnell seitlich. Den Eindruck, den ihre Hand auf mich macht, kann ich nur wiedergeben, wenn ich sage, dass ich noch keine Hand gesehen habe, bei der die einzelnen Finger derart scharf voneinander abgegrenzt w"aren, wie bei der ihren; doch hat ihre Hand keineswegs irgendeine anatomische Merkw"urdigkeit, es ist eine v"ollig normale Hand.
Diese kleine Frau nun ist mit mir sehr unzufrieden, immer hat sie etwas an mir auszusetzen, immer geschieht ihr Unrecht von mir, ich "argere sie auf Schritt und Tritt; wenn man das Leben in allerkleinste Teile teilen und jedes Teilchen gesondert beurteilen k"onnte, w"are gewiss jedes Teilchen meines Lebens f"ur sie ein "Argernis. Ich habe oft dar"uber nachgedacht, warum ich sie denn so "argere; mag sein, dass alles an mir ihrem Sch"onheitssinn, ihrem Gerechtigkeitsgef"uhl, ihren Gewohnheiten, ihren "Uberlieferungen, ihren Hoffnungen widerspricht, es gibt derartige einander widersprechende Naturen, aber warum leidet sie so sehr darunter? Es besteht ja gar keine Beziehung zwischen uns, die sie zwingen w"urde, durch mich zu leiden. Sie m"usste sich nur entschliessen, mich als v"ollig Fremden anzusehn, der ich ja auch bin und der ich gegen einen solchen Entschluss mich nicht wehren, sondern ihn sehr begr"ussen w"urde, sie m"usste sich nur entschliessen, meine Existenz zu vergessen, die ich ihr ja niemals aufgedr"angt habe oder aufdr"angen w"urde – und alles Leid w"are offenbar vor"uber. Ich sehe hiebei ganz von mir ab und davon, dass ihr Verhalten nat"urlich auch mir peinlich ist, ich sehe davon ab, weil ich ja wohl erkenne, dass alle diese Peinlichkeit nichts ist im Vergleich mit ihrem Leid. Wobei ich mir allerdings durchaus dessen bewusst bin, dass es kein liebendes Leid ist; es liegt ihr gar nichts daran, mich wirklich zu bessern, zumal ja auch alles, was sie an mir aussetzt, nicht von einer derartigen Beschaffenheit ist, dass mein Fortkommen dadurch gest"ort w"urde. Aber mein Fortkommen k"ummert sie eben auch nicht, sie k"ummert nichts anderes als ihr pers"onliches Interesse, n"amlich die Qual zu r"achen, die ich ihr bereite, und die Qual, die ihr in Zukunft von mir droht, zu verhindern. Ich habe schon einmal versucht, sie darauf hinzuweisen, wie diesem fortw"ahrenden "Arger am besten ein Ende gemacht werden k"onnte, doch habe ich sie gerade dadurch in eine derartige Aufwallung gebracht, dass ich den Versuch nicht mehr wiederholen werde.
Auch liegt ja, wenn man will, eine gewisse Verantwortung auf mir, denn so fremd mir die kleine Frau auch ist, und so sehr die einzige Beziehung, die zwischen uns besteht, der "Arger ist, den ich ihr bereite, oder vielmehr der "Arger, den sie sich von mir bereiten l"asst, d"urfte es mir doch nicht gleichg"ultig sein, wie sie sichtbar unter diesem "Arger auch k"orperlich leidet. Es kommen hie und da, sich mehrend in letzter Zeit, Nachrichten zu mir, dass sie wieder einmal am Morgen bleich, "ubern"achtig, von Kopfschmerzen gequ"alt und fast arbeitsunf"ahig gewesen sei; sie macht damit ihren Angeh"origen Sorgen, man r"at hin und her nach den Ursachen ihres Zustandes und hat sie bisher noch nicht gefunden. Ich allein kenne sie, es ist der alte und immer neue "Arger. Nun teile ich freilich die Sorgen ihrer Angeh"origen nicht; sie ist stark und z"ah; wer sich so zu "argern vermag, vermag wahrscheinlich auch die Folgen des "Argers zu "uberwinden; ich habe sogar den Verdacht, dass sie sich – wenigstens zum Teil – nur leidend stellt, um auf diese Weise den Verdacht der Welt auf mich hinzulenken. Offen zu sagen, wie ich sie durch mein Dasein qu"ale, ist sie zu stolz; an andere meinetwegen zu appellieren, w"urde sie als eine Herabw"urdigung ihrer selbst empfinden; nur aus Widerwillen, aus einem nicht aufh"orenden, ewig sie antreibenden Widerwillen besch"aftigt sie sich mit mir; diese unreine Sache auch noch vor der "Offentlichkeit zu besprechen, das w"are f"ur ihre Scham zu viel. Aber es ist doch auch zu viel, von der Sache ganz zu schweigen, unter deren unaufh"orlichem Druck sie steht. Und so versucht sie in ihrer Frauenschlauheit einen Mittelweg; schweigend, nur durch die "aussern Zeichen eines geheimen Leides will sie die Angelegenheit vor das Gericht der "Offentlichkeit bringen. Vielleicht hofft sie sogar, dass, wenn die "Offentlichkeit einmal ihren vollen Blick auf mich richtet, ein allgemeiner "offentlicher "Arger gegen mich entstehen und mit seinen grossen Machtmitteln mich bis zur vollst"andigen Endg"ultigkeit viel kr"aftiger und schneller richten wird, als es ihr verh"altnism"assig doch schwacher privater "Arger imstande ist; dann aber wird sie sich zur"uckziehen, aufatmen und mir den R"ucken kehren. Nun, sollten dies wirklich ihre Hoffnungen sein, so t"auscht sie sich. Die "Offentlichkeit wird nicht ihre Rolle "ubernehmen; die "Offentlichkeit wird niemals so unendlich viel an mir auszusetzen haben, auch wenn sie mich unter ihre st"arkste Lupe nimmt. Ich bin kein so unn"utzer Mensch, wie sie glaubt; ich will mich nicht r"uhmen und besonders nicht in diesem Zusammenhang; wenn ich aber auch nicht durch besondere Brauchbarkeit ausgezeichnet sein sollte, werde ich doch auch gewiss nicht gegenteilig auffallen; nur f"ur sie, f"ur ihre fast weissstrahlenden Augen bin ich so, niemanden andern wird sie davon "uberzeugen k"onnen. Also k"onnte ich in dieser Hinsicht v"ollig beruhigt sein? Nein, doch nicht; denn wenn es wirklich bekannt wird, dass ich sie geradezu krank mache durch mein Benehmen, und einige Aufpasser, eben die fleissigsten Nachrichten-"Uberbringer, sind schon nahe daran, es zu durchschauen oder sie stellen sich wenigstens so, als durchschauten sie es, und es kommt die Welt und wird mir die Frage stellen, warum ich denn die arme kleine Frau durch meine Unverbesserlichkeit qu"ale und ob ich sie etwa bis in den Tod zu treiben beabsichtige und wann ich endlich die Vernunft und das einfache menschliche Mitgef"uhl haben werde, damit aufzuh"oren – wenn mich die Welt so fragen wird, es wird schwer sein, ihr zu antworten. Soll ich dann eingestehn, dass ich an jene Krankheitszeichen nicht sehr glaube und soll ich damit den unangenehmen Eindruck hervorrufen, dass ich, um von einer Schuld loszukommen, andere beschuldige und gar in so unfeiner Weise? Und k"onnte ich etwa gar offen sagen, dass ich, selbst wenn ich an ein wirkliches Kranksein glaubte, nicht das geringste Mitgef"uhl h"atte, da mir ja die Frau v"ollig fremd ist und die Beziehung, die zwischen uns besteht, nur von ihr hergestellt ist und nur von ihrer Seite aus besteht. Ich will nicht sagen, dass man mir nicht glauben w"urde; man w"urde mir vielmehr weder glauben noch nicht glauben; man k"ame gar nicht so weit, dass davon die Rede sein k"onnte; man w"urde lediglich die Antwort registrieren, die ich hinsichtlich einer schwachen, kranken Frau gegeben habe, und das w"are wenig g"unstig f"ur mich. Hier wie bei jeder andern Antwort wird mir eben hartn"ackig in die Quere kommen die Unf"ahigkeit der Welt, in einem Fall wie diesem den Verdacht einer Liebesbeziehung nicht aufkommen zu lassen, trotzdem es bis zur "aussersten Deutlichkeit zutage liegt, dass eine solche Beziehung nicht besteht und dass, wenn sie bestehen w"urde, sie eher noch von mir ausginge, der ich tats"achlich die kleine Frau in der Schlagkraft ihres Urteils und der Unerm"udlichkeit ihrer Folgerungen immerhin zu bewundern f"ahig w"are, wenn ich nicht eben durch ihre Vorz"uge immerfort gestraft w"urde. Bei ihr aber ist jedenfalls keine Spur einer freundlichen Beziehung zu mir vorhanden; darin ist sie aufrichtig und wahr; darauf ruht meine letzte Hoffnung; nicht einmal, wenn es in ihren Kriegsplan passen w"urde, an eine solche Beziehung zu mir glauben zu machen, w"urde sie sich soweit vergessen, etwas derartiges zu tun. Aber die in dieser Richtung v"ollig stumpfe "Offentlichkeit wird bei ihrer Meinung bleiben und immer gegen mich entscheiden.
So bliebe mir eigentlich doch nur "ubrig, rechtzeitig, ehe die Welt eingreift, mich soweit zu "andern, dass ich den "Arger der kleinen Frau nicht etwa beseitige, was undenkbar ist, aber doch ein wenig mildere. Und ich habe mich tats"achlich "ofters gefragt, ob mich denn mein gegenw"artiger Zustand so befriedige, dass ich ihn gar nicht "andern wolle, und ob es denn nicht m"oglich w"are, gewisse "Anderungen an mir vorzunehmen, auch wenn ich es nicht t"ate, weil ich von ihrer Notwendigkeit "uberzeugt w"are, sondern nur, um die Frau zu bes"anftigen. Und ich habe es ehrlich versucht, nicht ohne M"uhe und Sorgfalt, es entsprach mir sogar, es belustigte mich fast; einzelne "Anderungen ergaben sich, waren weithin sichtbar, ich musste die Frau nicht auf sie aufmerksam machen, sie merkt alles derartige fr"uher als ich, sie merkt schon den Ausdruck der Absicht in meinem Wesen; aber ein Erfolg war mir nicht beschieden. Wie w"are es auch m"oglich? Ihre Unzufriedenheit mit mir ist ja, wie ich jetzt schon einsehe, eine grunds"atzliche; nichts kann sie beseitigen, nicht einmal die Beseitigung meiner selbst; ihre Wutanf"alle etwa bei der Nachricht meines Selbstmordes w"aren grenzenlos. Nun kann ich mir nicht vorstellen, dass sie, diese scharfsinnige Frau, dies nicht ebenso einsieht wie ich, und zwar sowohl die Aussichtslosigkeit ihrer Bem"uhungen als auch meine Unschuld, meine Unf"ahigkeit, selbst bei bestem Willen ihren Forderungen zu entsprechen. Gewiss sieht sie es ein, aber als K"ampfernatur vergisst sie es in der Leidenschaft des Kampfes, und meine ungl"uckliche Art, die ich aber nicht anders w"ahlen kann, denn sie ist mir nun einmal so gegeben, besteht darin, dass ich jemandem, der ausser Rand und Band geraten ist, eine leise Mahnung zufl"ustern will. Auf diese Weise werden wir uns nat"urlich nie verst"andigen. Immer wieder werde ich etwa im Gl"uck der ersten Morgenstunden aus dem Hause treten und dieses um meinetwillen vergr"amte Gesicht sehn, die verdriesslich aufgest"ulpten Lippen, den pr"ufenden und schon vor der Pr"ufung das Ergebnis kennenden Blick, der "uber mich hinf"ahrt und dem selbst bei gr"osster Fl"uchtigkeit nichts entgehen kann, das bittere in die m"adchenhafte Wange sich einbohrende L"acheln, das klagende Aufschauen zum Himmel, das Einlegen der H"ande in die H"uften, um sich zu festigen, und dann in der Emp"orung das Bleichwerden und Erzittern.
Letzthin machte ich, "uberhaupt zum erstenmal, wie ich mir bei dieser Gelegenheit erstaunt eingestand, einem guten Freund einige Andeutungen von dieser Sache, nur nebenbei, leicht, mit ein paar Worten, ich dr"uckte die Bedeutung des Ganzen, so klein sie f"ur mich nach aussen hin im Grunde ist, noch ein wenig unter die Wahrheit hinab. Sonderbar, dass der Freund dennoch nicht dar"uber hinwegh"orte, ja sogar aus eigenem der Sache an Bedeutung hinzugab, sich nicht ablenken liess und dabei verharrte. Noch sonderbarer allerdings, dass er trotzdem in einem entscheidenden Punkt die Sache untersch"atzte, denn er riet mir ernstlich, ein wenig zu verreisen. Kein Rat k"onnte unverst"andiger sein; die Dinge liegen zwar einfach, jeder kann sie, wenn er n"aher hinzutritt, durchschauen, aber so einfach sind sie doch auch nicht, dass durch mein Wegfahren alles oder auch nur das Wichtigste in Ordnung k"ame. Im Gegenteil, vor dem Wegfahren muss ich mich vielmehr h"uten; wenn ich "uberhaupt irgendeinen Plan befolgen soll, dann jedenfalls den, die Sache in ihren bisherigen, engen, die Aussenwelt noch nicht einbeziehenden Grenzen zu halten, also ruhig zu bleiben, wo ich bin, und keine grossen, durch diese Sache veranlassten, auffallenden Ver"anderungen zuzulassen, wozu auch geh"ort, mit niemandem davon zu sprechen, aber dies alles nicht deshalb, weil es irgendein gef"ahrliches Geheimnis w"are, sondern deshalb, weil es eine kleine, rein pers"onliche und als solche immerhin leicht zu tragende Angelegenheit ist und weil sie dieses auch bleiben soll. Darin waren die Bemerkungen des Freundes doch nicht ohne Nutzen, sie haben mich nichts Neues gelehrt, aber mich in meiner Grundansicht best"arkt.
Wie es sich ja "uberhaupt bei genauerem Nachdenken zeigt, dass die Ver"anderungen, welche die Sachlage im Laufe der Zeit erfahren zu haben scheint, keine Ver"anderungen der Sache selbst sind, sondern nur die Entwicklung meiner Anschauung von ihr, insofern, als diese Anschauung teils ruhiger, m"annlicher wird, dem Kern n"aher kommt, teils allerdings auch unter dem nicht zu verwindenden Einfluss der fortw"ahrenden Ersch"utterungen, seien diese auch noch so leicht, eine gewisse Nervosit"at annimmt.
Ruhiger werde ich der Sache gegen"uber, indem ich zu erkennen glaube, dass eine Entscheidung, so nahe sie manchmal bevorzustehen scheint, doch wohl noch nicht kommen wird; man ist leicht geneigt, besonders in jungen Jahren, das Tempo, in dem Entscheidungen kommen, sehr zu "ubersch"atzen; wenn einmal meine kleine Richterin, schwach geworden durch meinen Anblick, seitlich in den Sessel sank, mit der einen Hand sich an der R"uckenlehne festhielt, mit der anderen an ihrem Schn"urleib nestelte, und Tr"anen des Zornes und der Verzweiflung ihr die Wangen hinabrollten, dachte ich immer, nun sei die Entscheidung da und gleich w"urde ich vorgerufen werden, mich zu verantworten. Aber nichts von Entscheidung, nichts von Verantwortung, Frauen wird leicht "ubel, die Welt hat nicht Zeit, auf alle F"alle aufzupassen. Und was ist denn eigentlich in all den Jahren geschehn? Nichts weiter, als dass sich solche F"alle wiederholten, einmal st"arker, einmal schw"acher, und dass nun also ihre Gesamtzahl gr"osser ist. Und dass Leute sich in der N"ahe herumtreiben und gern eingreifen w"urden, wenn sie eine M"oglichkeit dazu finden w"urden; aber sie finden keine, bisher verlassen sie sich nur auf ihre Witterung, und Witterung allein gen"ugt zwar, um ihren Besitzer reichlich zu besch"aftigen, aber zu anderem taugt sie nicht. So aber war es im Grunde immer, immer gab es diese unn"utzen Eckensteher und Lufteinatmer, welche ihre N"ahe immer auf irgendeine "uberschlaue Weise, am liebsten durch Verwandtschaft, entschuldigten, immer haben sie aufgepasst, immer haben sie die Nase voll Witterung gehabt, aber das Ergebnis alles dessen ist nur, dass sie noch immer dastehn. Der ganze Unterschied besteht darin, dass ich sie allm"ahlich erkannt habe, ihre Gesichter unterscheide; fr"uher habe ich geglaubt, sie k"amen allm"ahlich von "uberall her zusammen, die Ausmasse der Angelegenheit vergr"osserten sich und w"urden von selbst die Entscheidung erzwingen; heute glaube ich zu wissen, dass das alles von altersher da war und mit dem Herankommen der Entscheidung sehr wenig oder nichts zu tun hat. Und die Entscheidung selbst, warum benenne ich sie mit einem so grossen Wort? Wenn es einmal – und gewiss nicht morgen und "ubermorgen und wahrscheinlich niemals – dazu kommen sollte, dass sich die "Offentlichkeit doch mit dieser Sache, f"ur die sie, wie ich immer wiederholen werde, nicht zust"andig ist, besch"aftigt, werde ich zwar nicht unbesch"adigt aus dem Verfahren hervorgehen, aber es wird doch wohl in Betracht gezogen werden, dass ich der "Offentlichkeit nicht unbekannt bin, in ihrem vollen Licht seit jeher lebe, vertrauensvoll und Vertrauen verdienend, und dass deshalb diese nachtr"aglich hervorgekommene leidende kleine Frau, die nebenbei bemerkt ein anderer als ich vielleicht l"angst als Klette erkannt und f"ur die "Offentlichkeit v"ollig ger"auschlos unter seinem Stiefel zertreten h"atte, dass diese Frau doch schlimmstenfalls nur einen kleinen h"asslichen Schn"orkel dem Diplom hinzuf"ugen k"onnte, in welchem mich die "Offentlichkeit l"angst als ihr achtungswertes Mitglied erkl"art. Das ist der heutige Stand der Dinge, der also wenig geeignet ist, mich zu beunruhigen.