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ЖАНРЫ

1919 Сельский врач (сборник)
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Ich stamme von der Goldk"uste. Dar"uber, wie ich eingefangen wurde, bin ich auf fremde Berichte angewiesen. Eine Jagdexpedition der Firma Hagenbeck – mit dem F"uhrer habe ich "ubrigens seither schon manche gute Flasche Rotwein geleert – lag im Ufergeb"usch auf dem Anstand, als ich am Abend inmitten eines Rudels zur Tr"anke lief. Man schoss; ich war der einzige, der getroffen wurde; ich bekam zwei Sch"usse.

Einen in die Wange; der war leicht; hinterliess aber eine grosse ausrasierte rote Narbe, die mir den widerlichen, ganz und gar unzutreffenden, f"ormlich von einem Affen erfundenen Namen Rotpeter eingetragen hat, so als unterschiede ich mich von dem unl"angst krepierten, hie und da bekannten, dressierten Affentier Peter nur durch den roten Fleck auf der Wange. Dies nebenbei.

Der zweite Schuss traf mich unterhalb der H"ufte. Er war schwer, er hat es verschuldet, dass ich noch heute ein wenig hinke. Letzthin las ich in einem Aufsatz irgendeines der zehntausend Windhunde, die sich in den Zeitungen "uber mich auslassen: meine Affennatur sei noch nicht ganz unterdr"uckt; Beweis dessen sei, dass ich, wenn Besucher kommen, mit Vorliebe die Hosen ausziehe, um die Einlaufstelle jenes Schusses zu zeigen. Dem Kerl sollte jedes Fingerchen seiner schreibenden Hand einzeln weggeknallt werden. Ich, ich darf meine Hosen ausziehen, vor wem es mir beliebt; man wird dort nichts finden als einen wohlgepflegten Pelz und die Narbe nach einem – w"ahlen wir hier zu einem bestimmten Zwecke ein bestimmtes Wort, das aber nicht missverstanden werden wolle – die Narbe nach einem frevelhaften Schuss. Alles liegt offen zutage; nichts ist zu verbergen; kommt es auf Wahrheit an, wirft jeder Grossgesinnte die allerfeinsten Manieren ab. W"urde dagegen jener Schreiber die Hosen ausziehen, wenn Besuch kommt, so h"atte dies allerdings ein anderes Ansehen und ich will es als Zeichen der Vernunft gelten lassen, dass er es nicht tut. Aber dann mag er mir auch mit seinem Zartsinn vom Halse bleiben!

Nach jenen Sch"ussen erwachte ich – und hier beginnt allm"ahlich meine eigene Erinnerung – in einem K"afig im Zwischendeck des Hagenbeckschen Dampfers. Es war kein vierwandiger Gitterk"afig; vielmehr waren nur drei W"ande an einer Kiste festgemacht; die Kiste also bildete die vierte Wand. Das Ganze war zu niedrig zum Aufrechtstehen und zu schmal zum Niedersitzen. Ich hockte deshalb mit eingebogenen, ewig zitternden Knien, und zwar, da ich zun"achst wahrscheinlich niemanden sehen und immer nur im Dunkel sein wollte, zur Kiste gewendet, w"ahrend sich mir hinten die Gitterst"abe ins Fleisch einschnitten. Man h"alt eine solche Verwahrung wilder Tiere in der allerersten Zeit f"ur vorteilhaft, und ich kann heute nach meiner Erfahrung nicht leugnen, dass dies im menschlichen Sinn tats"achlich der Fall ist.

Daran dachte ich aber damals nicht. Ich war zum erstenmal in meinem Leben ohne Ausweg; zumindest geradeaus ging es nicht; geradeaus vor mir war die Kiste, Brett fest an Brett gef"ugt. Zwar war zwischen den Brettern eine durchlaufende L"ucke, die ich, als ich sie zuerst entdeckte, mit dem gl"uckseligen Heulen des Unverstandes begr"usste, aber diese L"ucke reichte bei weitem nicht einmal zum Durchstecken des Schwanzes aus und war mit aller Affenkraft nicht zu verbreitern.

Ich soll, wie man mir sp"ater sagte, ungew"ohnlich wenig L"arm gemacht haben, woraus man schloss, dass ich entweder bald eingehen m"usse oder dass ich, falls es mir gelingt, die erste kritische Zeit zu "uberleben, sehr dressurf"ahig sein werde. Ich "uberlebte diese Zeit. Dumpfes Schluchzen, schmerzhaftes Fl"ohesuchen, m"udes Lecken einer Kokosnuss, Beklopfen der Kistenwand mit dem Sch"adel, Zungen-Blecken, wenn mir jemand nahekam, – das waren die ersten Besch"aftigungen in dem neuen Leben. In alledem aber doch nur das eine Gef"uhl: kein Ausweg. Ich kann nat"urlich das damals affenm"assig Gef"uhlte heute nur mit Menschenworten nachzeichnen und verzeichne es infolgedessen, aber wenn ich auch die alte Affenwahrheit nicht mehr erreichen kann, wenigstens in der Richtung meiner Schilderung liegt sie, daran ist kein Zweifel.

Ich hatte doch so viele Auswege bisher gehabt und nun keinen mehr. Ich war festgerannt. H"atte man mich angenagelt, meine Freiz"ugigkeit w"are dadurch nicht kleiner geworden. Warum das? Kratz dir das Fleisch zwischen den Fusszehen auf, du wirst den Grund nicht finden. Dr"uck dich hinten gegen die Gitterstange, bis sie dich fast zweiteilt, du wirst den Grund nicht finden. Ich hatte keinen Ausweg, musste mir ihn aber verschaffen, denn ohne ihn konnte ich nicht leben. Immer an dieser Kistenwand – ich w"are unweigerlich verreckt. Aber Affen geh"oren bei Hagenbeck an die Kistenwand – nun, so h"orte ich auf, Affe zu sein. Ein klarer, sch"oner Gedankengang, den ich irgendwie mit dem Bauch ausgeheckt haben muss, denn Affen denken mit dem Bauch.

Ich habe Angst, dass man nicht genau versteht, was ich unter Ausweg verstehe. Ich gebrauche das Wort in seinem gew"ohnlichsten und vollsten Sinn. Ich sage absichtlich nicht Freiheit. Ich meine nicht dieses grosse Gef"uhl der Freiheit nach allen Seiten. Als Affe kannte ich es vielleicht und ich habe Menschen kennen gelernt, die sich danach sehnen. Was mich aber anlangt, verlangte ich Freiheit weder damals noch heute. Nebenbei: mit Freiheit betr"ugt man sich unter Menschen allzuoft. Und so wie die Freiheit zu den erhabensten Gef"uhlen z"ahlt, so auch die entsprechende T"auschung zu den erhabensten. Oft habe ich in den Variet'es vor meinem Auftreten irgendein K"unstlerpaar oben an der Decke an Trapezen hantieren sehen. Sie schwangen sich, sie schaukelten, sie sprangen, sie schwebten einander in die Arme, einer trug den anderen an den Haaren mit dem Gebiss.

»Auch das ist Menschenfreiheit«, dachte ich, »selbstherrliche Bewegung«. Du Verspottung der heiligen Natur! Kein Bau w"urde standhalten vor dem Gel"achter des Affentums bei diesem Anblick.

Nein, Freiheit wollte ich nicht. Nur einen Ausweg; rechts, links, wohin immer; ich stellte keine anderen Forderungen; sollte der Ausweg auch nur eine T"auschung sein; die Forderung war klein, die T"auschung w"urde nicht gr"osser sein. Weiterkommen, weiterkommen! Nur nicht mit aufgehobenen Armen stillestehn, angedr"uckt an eine Kistenwand.

Heute sehe ich klar: ohne gr"osste innere Ruhe h"atte ich nie entkommen k"onnen. Und tats"achlich verdanke ich vielleicht alles, was ich geworden bin, der Ruhe, die mich nach den ersten Tagen dort im Schiff "uberkam. Die Ruhe wiederum aber verdankte ich wohl den Leuten vom Schiff.

Es sind gute Menschen, trotz allem. Gerne erinnere ich mich noch heute an den Klang ihrer schweren Schritte, der damals in meinem Halbschlaf widerhallte. Sie hatten die Gewohnheit, alles "ausserst langsam in Angriff zu nehmen. Wollte sich einer die Augen reiben, so hob er die Hand wie ein H"angegewicht. Ihre Scherze waren grob, aber herzlich. Ihr Lachen war immer mit einem gef"ahrlich klingenden aber nichts bedeutenden Husten gemischt. Immer hatten sie im Mund etwas zum Ausspeien und wohin sie ausspieen war ihnen gleichg"ultig. Immer klagten sie, dass meine Fl"ohe auf sie "uberspringen; aber doch waren sie mir deshalb niemals ernstlich b"ose; sie wussten eben, dass in meinem Fell Fl"ohe gedeihen und dass Fl"ohe Springer sind; damit fanden sie sich ab. Wenn sie dienstfrei waren, setzten sich manchmal einige im Halbkreis um mich nieder; sprachen kaum, sondern gurrten einander nur zu; rauchten, auf Kisten ausgestreckt, die Pfeife; schlugen sich aufs Knie, sobald ich die geringste Bewegung machte; und hie und da nahm einer einen Stecken und kitzelte mich dort, wo es mir angenehm war. Sollte ich heute eingeladen werden, eine Fahrt auf diesem Schiffe mitzumachen, ich w"urde die Einladung gewiss ablehnen, aber ebenso gewiss ist, dass es nicht nur h"assliche Erinnerungen sind, denen ich dort im Zwischendeck nachh"angen k"onnte.

Die Ruhe, die ich mir im Kreise dieser Leute erwarb, hielt mich vor allem von jedem Fluchtversuch ab. Von heute aus gesehen scheint es mir, als h"atte ich zumindest geahnt, dass ich einen Ausweg finden m"usse, wenn ich leben wolle, dass dieser Ausweg aber nicht durch Flucht zu erreichen sei. Ich weiss nicht mehr, ob Flucht m"oglich war, aber ich glaube es; einem Affen sollte Flucht immer m"oglich sein. Mit meinen heutigen Z"ahnen muss ich schon beim gew"ohnlichen N"usseknacken vorsichtig sein, damals aber h"atte es mir wohl im Lauf der Zeit gelingen m"ussen, das T"urschloss durchzubeissen. Ich tat es nicht. Was w"are damit auch gewonnen gewesen? Man h"atte mich, kaum war der Kopf hinausgesteckt, wieder eingefangen und in einen noch schlimmeren K"afig gesperrt; oder ich h"atte mich unbemerkt zu anderen Tieren, etwa zu den Riesenschlangen mir gegen"uber fl"uchten k"onnen und mich in ihren Umarmungen ausgehaucht; oder es w"are mir gar gelungen, mich bis aufs Deck zu stehlen und "uber Bord zu springen, dann h"atte ich ein Weilchen auf dem Weltmeer geschaukelt und w"are ersoffen. Verzweiflungstaten. Ich rechnete nicht so menschlich, aber unter dem Einfluss meiner Umgebung verhielt ich mich so, wie wenn ich gerechnet h"atte.

Ich rechnete nicht, wohl aber beobachtete ich in aller Ruhe. Ich sah diese Menschen auf und ab gehen, immer die gleichen Gesichter, die gleichen Bewegungen, oft schien es mir, als w"are es nur einer. Dieser Mensch oder diese Menschen gingen also unbehelligt. Ein hohes Ziel d"ammerte mir auf. Niemand versprach mir, dass, wenn ich so wie sie werden w"urde, das Gitter aufgezogen werde. Solche Versprechungen f"ur scheinbar unm"ogliche Erf"ullungen werden nicht gegeben. L"ost man aber die Erf"ullungen ein, erscheinen nachtr"aglich auch die Versprechungen genau dort, wo man sie fr"uher vergeblich gesucht hat. Nun war an diesen Menschen an sich nichts, was mich sehr verlockte. W"are ich ein Anh"anger jener erw"ahnten Freiheit, ich h"atte gewiss das Weltmeer dem Ausweg vorgezogen, der sich mir im tr"uben Blick dieser Menschen zeigte. Jedenfalls aber beobachtete ich sie schon lange vorher, ehe ich an solche Dinge dachte, ja die angeh"auften Beobachtungen dr"angten mich erst in die bestimmte Richtung.

Es war so leicht, die Leute nachzuahmen. Spucken konnte ich schon in den ersten Tagen. Wir spuckten einander dann gegenseitig ins Gesicht; der Unterschied war nur, dass ich mein Gesicht nachher reinleckte, sie ihres nicht. Die Pfeife rauchte ich bald wie ein Alter; dr"uckte ich dann auch noch den Daumen in den Pfeifenkopf, jauchzte das ganze Zwischendeck; nur den Unterschied zwischen der leeren und der gestopften Pfeife verstand ich lange nicht.

Die meiste M"uhe machte mir die Schnapsflasche. Der Geruch peinigte mich; ich zwang mich mit allen Kr"aften; aber es vergingen Wochen, ehe ich mich "uberwand. Diese inneren K"ampfe nahmen die Leute merkw"urdigerweise ernster als irgend etwas sonst an mir. Ich unterscheide die Leute auch in meiner Erinnerung nicht, aber da war einer, der kam immer wieder, allein oder mit Kameraden, bei Tag, bei Nacht, zu den verschiedensten Stunden; stellte sich mit der Flasche vor mich hin und gab mir Unterricht. Er begriff mich nicht, er wollte das R"atsel meines Seins l"osen. Er entkorkte langsam die Flasche und blickte mich dann an, um zu pr"ufen, ob ich verstanden habe; ich gestehe, ich sah ihm immer mit wilder, mit "uberst"urzter Aufmerksamkeit zu; einen solchen Menschensch"uler findet kein Menschenlehrer auf dem ganzen Erdenrund; nachdem die Flasche entkorkt war, hob er sie zum Mund; ich mit meinen Blicken ihm nach bis in die Gurgel; er nickt, zufrieden mit mir, und setzt die Flasche an die Lippen; ich, entz"uckt von allm"ahlicher Erkenntnis, kratze mich quietschend der L"ange und Breite nach, wo es sich trifft; er freut sich, setzt die Flasche an und macht einen Schluck; ich, ungeduldig und verzweifelt, ihm nachzueifern, verunreinige mich in meinem K"afig, was wieder ihm grosse Genugtuung macht; und nun weit die Flasche von sich streckend und im Schwung sie wieder hinauff"uhrend, trinkt er sie, "ubertrieben lehrhaft zur"uckgebeugt, mit einem Zuge leer. Ich, ermattet von allzugrossem Verlangen, kann nicht mehr folgen und h"ange schwach am Gitter, w"ahrend er den theoretischen Unterricht damit beendet, dass er sich den Bauch streicht und grinst.

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