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ЖАНРЫ

1919 Сельский врач (сборник)
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Vielleicht ist es deshalb wirklich das Beste, sich, wie es Bucephalus getan hat, in die Gesetzb"ucher zu versenken. Frei, unbedr"uckt die Seiten von den Lenden des Reiters, bei stiller Lampe, fern dem Get"ose der Alexanderschlacht, liest und wendet er die Bl"atter unserer alten B"ucher.

2. EIN LANDARZT

Ich war in grosser Verlegenheit: eine dringende Reise stand mir bevor; ein Schwerkranker wartete auf mich in einem zehn Meilen entfernten Dorfe; starkes Schneegest"ober f"ullte den weiten Raum zwischen mir und ihm; einen Wagen hatte ich, leicht, grossr"aderig, ganz wie er f"ur unsere Landstrassen taugt; in den Pelz gepackt, die Instrumententasche in der Hand, stand ich reisefertig schon auf dem Hofe; aber das Pferd fehlte, das Pferd. Mein eigenes Pferd war in der letzten Nacht, infolge der "Uberanstrengung in diesem eisigen Winter, verendet; mein Dienstm"adchen lief jetzt im Dorf umher, um ein Pferd geliehen zu bekommen; aber es war aussichtslos, ich wusste es, und immer mehr vom Schnee "uberh"auft, immer unbeweglicher werdend, stand ich zwecklos da. Am Tor erschien das M"adchen, allein, schwenkte die Laterne; nat"urlich, wer leiht jetzt sein Pferd her zu solcher Fahrt? Ich durchmass noch einmal den Hof; ich fand keine M"oglichkeit; zerstreut, gequ"alt stiess ich mit dem Fuss an die br"uchige T"ur des schon seit Jahren unben"utzten Schweinestalles. Sie "offnete sich und klappte in den Angeln auf und zu. W"arme und Geruch wie von Pferden kam hervor. Eine tr"ube Stallaterne schwankte drin an einem Seil. Ein Mann, zusammengekauert in dem niedrigen Verschlag, zeigte sein offenes blau"augiges Gesicht. »Soll ich anspannen?« fragte er, auf allen Vieren hervorkriechend. Ich wusste nichts zu sagen und beugte mich nur, um zu sehen, was es noch in dem Stalle gab. Das Dienstm"adchen stand neben mir.

»Man weiss nicht, was f"ur Dinge man im eigenen Hause vorr"atig hat,« sagte es, und wir beide lachten. »Hollah, Bruder, hollah, Schwester!« rief der Pferdeknecht, und zwei Pferde, m"achtige flankenstarke Tiere schoben sich hintereinander, die Beine eng am Leib, die wohlgeformten K"opfe wie Kamele senkend, nur durch die Kraft der Wendungen ihres Rumpfes aus dem T"urloch, das sie restlos ausf"ullten. Aber gleich standen sie aufrecht, hochbeinig, mit dicht ausdampfendem K"orper. »Hilf ihm,« sagte ich, und das willige M"adchen eilte, dem Knecht das Geschirr des Wagens zu reichen. Doch kaum war es bei ihm, umfasst es der Knecht und schl"agt sein Gesicht an ihres. Es schreit auf und fl"uchtet sich zu mir; rot eingedr"uckt sind zwei Zahnreihen in des M"adchens Wange. »Du Vieh,« schreie ich w"utend, »willst du die Peitsche?«, besinne mich aber gleich, dass es ein Fremder ist; dass ich nicht weiss, woher er kommt, und dass er mir freiwillig aushilft, wo alle andern versagen. Als wisse er von meinen Gedanken, nimmt er meine Drohung nicht "ubel, sondern wendet sich nur einmal, immer mit den Pferden besch"aftigt, nach mir um. »Steigt ein,« sagt er dann, und tats"achlich: alles ist bereit. Mit so sch"onem Gespann, das merke ich, bin ich noch nie gefahren und ich steige fr"ohlich ein. »Kutschieren werde aber ich, du kennst nicht den Weg,« sage ich. »Gewiss,« sagt er, »ich fahre gar nicht mit, ich bleibe bei Rosa.« »Nein,« schreit Rosa und l"auft im richtigen Vorgef"uhl der Unabwendbarkeit ihres Schicksals ins Haus; ich h"ore die T"urkette klirren, die sie vorlegt; ich h"ore das Schloss einspringen; ich sehe, wie sie "uberdies im Flur und weiterjagend durch die Zimmer alle Lichter verl"oscht, um sich unauffindbar zu machen. »Du f"ahrst mit,« sage ich zu dem Knecht, »oder ich verzichte auf die Fahrt, so dringend sie auch ist. Es f"allt mir nicht ein, dir f"ur die Fahrt das M"adchen als Kaufpreis hinzugeben.« »Munter!« sagt er; klatscht in die H"ande; der Wagen wird fortgerissen, wie Holz in die Str"omung; noch h"ore ich, wie die T"ur meines Hauses unter dem Ansturm des Knechtes birst und splittert, dann sind mir Augen und Ohren von einem zu allen Sinnen gleichm"assig dringenden Sausen erf"ullt. Aber auch das nur einen Augenblick, denn, als "offne sich unmittelbar vor meinem Hoftor der Hof meines Kranken, bin ich schon dort; ruhig stehen die Pferde; der Schneefall hat aufgeh"ort; Mondlicht ringsum; die Eltern des Kranken eilen aus dem Haus; seine Schwester hinter ihnen; man hebt mich fast aus dem Wagen; den verwirrten Reden entnehme ich nichts; im Krankenzimmer ist die Luft kaum atembar; der vernachl"assigte Herdofen raucht; ich werde das Fenster aufstossen; zuerst aber will ich den Kranken sehen. Mager, ohne Fieber, nicht kalt, nicht warm, mit leeren Augen, ohne Hemd hebt sich der Junge unter dem Federbett, h"angt sich an meinen Hals, fl"ustert mir ins Ohr: »Doktor, lass mich sterben.« Ich sehe mich um; niemand hat es geh"ort; die Eltern stehen stumm vorgebeugt und erwarten mein Urteil; die Schwester hat einen Stuhl f"ur meine Handtasche gebracht. Ich "offne die Tasche und suche unter meinen Instrumenten; der Junge tastet immerfort aus dem Bett nach mir hin, um mich an seine Bitte zu erinnern; ich fasse eine Pinzette, pr"ufe sie im Kerzenlicht und lege sie wieder hin. »Ja,« denke ich l"asternd, »in solchen F"allen helfen die G"otter, schicken das fehlende Pferd, f"ugen der Eile wegen noch ein zweites hinzu, spenden zum "Ubermass noch den Pferdeknecht –« Jetzt erst f"allt mir wieder Rosa ein; was tue ich, wie rette ich sie, wie ziehe ich sie unter diesem Pferdeknecht hervor, zehn Meilen von ihr entfernt, unbeherrschbare Pferde vor meinem Wagen? Diese Pferde, die jetzt die Riemen irgendwie gelockert haben; die Fenster, ich weiss nicht wie, von aussen aufstossen; jedes durch ein Fenster den Kopf stecken und, unbeirrt durch den Aufschrei der Familie, den Kranken betrachten. »Ich fahre gleich wieder zur"uck,« denke ich, als forderten mich die Pferde zur Reise auf, aber ich dulde es, dass die Schwester, die mich durch die Hitze bet"aubt glaubt, den Pelz mir abnimmt. Ein Glas Rum wird mir bereitgestellt, der Alte klopft mir auf die Schulter, die Hingabe seines Schatzes rechtfertigt diese Vertraulichkeit. Ich sch"uttle den Kopf; in dem engen Denkkreis des Alten w"urde mir "ubel; nur aus diesem Grunde lehne ich es ab zu trinken. Die Mutter steht am Bett und lockt mich hin; ich folge und lege, w"ahrend ein Pferd laut zur Zimmerdecke wiehert, den Kopf an die Brust des Jungen, der unter meinem nassen Bart erschauert. Es best"atigt sich, was ich weiss: der Junge ist gesund, ein wenig schlecht durchblutet, von der sorgenden Mutter mit Kaffee durchtr"ankt, aber gesund und am besten mit einem Stoss aus dem Bett zu treiben. Ich bin kein Weltverbesserer und lasse ihn liegen. Ich bin vom Bezirk angestellt und tue meine Pflicht bis zum Rand, bis dorthin, wo es fast zu viel wird. Schlecht bezahlt, bin ich doch freigebig und hilfsbereit gegen"uber den Armen. Noch f"ur Rosa muss ich sorgen, dann mag der Junge recht haben und auch ich will sterben. Was tue ich hier in diesem endlosen Winter! Mein Pferd ist verendet, und da ist niemand im Dorf, der mir seines leiht. Aus dem Schweinestall muss ich mein Gespann ziehen; w"aren es nicht zuf"allig Pferde, m"usste ich mit S"auen fahren. So ist es. Und ich nicke der Familie zu. Sie wissen nichts davon, und wenn sie es w"ussten, w"urden sie es nicht glauben. Rezepte schreiben ist leicht, aber im "ubrigen sich mit den Leuten verst"andigen, ist schwer. Nun, hier w"are also mein Besuch zu Ende, man hat mich wieder einmal unn"otig bem"uht, daran bin ich gew"ohnt, mit Hilfe meiner Nachtglocke martert mich der ganze Bezirk, aber dass ich diesmal auch noch Rosa hingeben musste, dieses sch"one M"adchen, das jahrelang, von mir kaum beachtet, in meinem Hause lebte – dieses Opfer ist zu gross, und ich muss es mir mit Spitzfindigkeiten aushilfsweise in meinem Kopf irgendwie zurechtlegen, um nicht auf diese Familie loszufahren, die mir ja beim besten Willen Rosa nicht zur"uckgeben kann. Als ich aber meine Handtasche schliesse und nach meinem Pelz winke, die Familie beisammensteht, der Vater schnuppernd "uber dem Rumglas in seiner Hand, die Mutter, von mir wahrscheinlich entt"auscht – ja, was erwartet denn das Volk? – tr"anenvoll in die Lippen beissend und die Schwester ein schwer blutiges Handtuch schwenkend, bin ich irgendwie bereit, unter Umst"anden zuzugeben, dass der Junge doch vielleicht krank ist. Ich gehe zu ihm, er l"achelt mir entgegen, als br"achte ich ihm etwa die allerst"arkste Suppe – ach, jetzt wiehern beide Pferde; der L"arm soll wohl, h"ohern Orts angeordnet, die Untersuchung erleichtern – und nun finde ich: ja, der Junge ist krank. In seiner rechten Seite, in der H"uftengegend hat sich eine handtellergrosse Wunde aufgetan. Rosa, in vielen Schattierungen, dunkel in der Tiefe, hellwerdend zu den R"andern, zartk"ornig, mit ungleichm"assig sich aufsammelndem Blut, offen wie ein Bergwerk obertags. So aus der Entfernung. In der N"ahe zeigt sich noch eine Erschwerung. Wer kann das ansehen ohne leise zu pfeifen? W"urmer, an St"arke und L"ange meinem kleinen Finger gleich, rosig aus eigenem und ausserdem blutbespritzt, winden sich, im Innern der Wunde festgehalten, mit weissen K"opfchen, mit vielen Beinchen ans Licht. Armer Junge, dir ist nicht zu helfen. Ich habe deine grosse Wunde aufgefunden; an dieser Blume in deiner Seite gehst du zugrunde. Die Familie ist gl"ucklich, sie sieht mich in T"atigkeit; die Schwester sagt’s der Mutter, die Mutter dem Vater, der Vater einigen G"asten, die auf den Fussspitzen, mit ausgestreckten Armen balancierend, durch den Mondschein der offenen T"ur hereinkommen. »Wirst du mich retten?« fl"ustert schluchzend der Junge, ganz geblendet durch das Leben in seiner Wunde. So sind die Leute in meiner Gegend. Immer das Unm"ogliche vom Arzt verlangen. Den alten Glauben haben sie verloren; der Pfarrer sitzt zu Hause und zerzupft die Messgew"ander, eines nach dem andern; aber der Arzt soll alles leisten mit seiner zarten chirurgischen Hand. Nun, wie es beliebt: ich habe mich nicht angeboten; verbraucht ihr mich zu heiligen Zwecken, lasse ich auch das mit mir geschehen; was will ich Besseres, alter Landarzt, meines Dienstm"adchens beraubt! Und sie kommen, die Familie und die Dorf"altesten, und entkleiden mich; ein Schulchor mit dem Lehrer an der Spitze steht vor dem Haus und singt eine "ausserst einfache Melodie auf den Text:

»Entkleidet ihn, dann wird er heilen,Und heilt er nicht, so t"otet ihn!’Sist nur ein Arzt, ’sist nur ein Arzt.«

Dann bin ich entkleidet und sehe, die Finger im Barte, mit geneigtem Kopf die Leute ruhig an. Ich bin durchaus gefasst und allen "uberlegen und bleibe es auch, trotzdem es mir nichts hilft, denn jetzt nehmen sie mich beim Kopf und bei den F"ussen und tragen mich ins Bett. Zur Mauer, an die Seite der Wunde legen sie mich. Dann gehen alle aus der Stube; die T"ur wird zugemacht; der Gesang verstummt; Wolken treten vor den Mond; warm liegt das Bettzeug um mich; schattenhaft schwanken die Pferdek"opfe in den Fensterl"ochern.

»Weisst du,« h"ore ich, mir ins Ohr gesagt, »mein Vertrauen zu dir ist sehr gering. Du bist ja auch nur irgendwo abgesch"uttelt, kommst nicht auf eigenen F"ussen. Statt zu helfen, engst du mir mein Sterbebett ein. Am liebsten kratzte ich dir die Augen aus.« »Richtig,« sage ich, »es ist eine Schmach. Nun bin ich aber Arzt. Was soll ich tun? Glaube mir, es wird auch mir nicht leicht.« »Mit dieser Entschuldigung soll ich mich begn"ugen? Ach, ich muss wohl. Immer muss ich mich begn"ugen. Mit einer sch"onen Wunde kam ich auf die Welt; das war meine ganze Ausstattung.« »Junger Freund,« sage ich, »dein Fehler ist: du hast keinen "Uberblick. Ich, der ich schon in allen Krankenstuben, weit und breit, gewesen bin, sage dir: deine Wunde ist so "ubel nicht. Im spitzen Winkel mit zwei Hieben der Hacke geschaffen. Viele bieten ihre Seite an und h"oren kaum die Hacke im Forst, geschweige denn, dass sie ihnen n"aher kommt.« »Ist es wirklich so oder t"auschest du mich im Fieber?« »Es ist wirklich so, nimm das Ehrenwort eines Amtsarztes mit hin"uber.« Und er nahm’s und wurde still. Aber jetzt war es Zeit, an meine Rettung zu denken. Noch standen treu die Pferde an ihren Pl"atzen. Kleider, Pelz und Tasche waren schnell zusammengerafft; mit dem Ankleiden wollte ich mich nicht aufhalten; beeilten sich die Pferde wie auf der Herfahrt, sprang ich ja gewissermassen aus diesem Bett in meines. Gehorsam zog sich ein Pferd vom Fenster zur"uck; ich warf den Ballen in den Wagen; der Pelz flog zu weit, nur mit einem "Armel hielt er sich an einem Haken fest. Gut genug. Ich schwang mich aufs Pferd. Die Riemen lose schleifend, ein Pferd kaum mit dem andern verbunden, der Wagen irrend hinterher, der Pelz als letzter im Schnee. »Munter!« sagte ich, aber munter ging’s nicht; langsam wie alte M"anner zogen wir durch die Schneew"uste; lange klang hinter uns der neue, aber irrt"umliche Gesang der Kinder:

»Freuet Euch, Ihr Patienten,Der Arzt ist Euch ins Bett gelegt!«

Niemals komme ich so nach Hause; meine bl"uhende Praxis ist verloren; ein Nachfolger bestiehlt mich, aber ohne Nutzen, denn er kann mich nicht ersetzen; in meinem Hause w"utet der ekle Pferdeknecht; Rosa ist sein Opfer; ich will es nicht ausdenken. Nackt, dem Froste dieses ungl"uckseligsten Zeitalters ausgesetzt, mit irdischem Wagen, unirdischen Pferden, treibe ich mich alter Mann umher. Mein Pelz h"angt hinten am Wagen, ich kann ihn aber nicht erreichen, und keiner aus dem beweglichen Gesindel der Patienten r"uhrt den Finger. Betrogen! Betrogen! Einmal dem Fehll"auten der Nachtglocke gefolgt – es ist niemals gutzumachen.

3. AUF DER GALERIE

Wenn irgendeine hinf"allige, lungens"uchtige Kunstreiterin in der Manege auf schwankendem Pferd vor einem unerm"udlichen Publikum vom peitschenschwingenden erbarmungslosen Chef monatelang ohne Unterbrechung im Kreise rundum getrieben w"urde, auf dem Pferde schwirrend, K"usse werfend, in der Taille sich wiegend, und wenn dieses Spiel unter dem nichtaussetzenden Brausen des Orchesters und der Ventilatoren in die immerfort weiter sich "offnende graue Zukunft sich fortsetzte, begleitet vom vergehenden und neu anschwellenden Beifallsklatschen der H"ande, die eigentlich Dampfh"ammer sind – vielleicht eilte dann ein junger Galeriebesucher die lange Treppe durch alle R"ange hinab, st"urzte in die Manege, riefe das: Halt! durch die Fanfaren des immer sich anpassenden Orchesters.

Da es aber nicht so ist; eine sch"one Dame, weiss und rot, hereinfliegt, zwischen den Vorh"angen, welche die stolzen Livrierten vor ihr "offnen; der Direktor, hingebungsvoll ihre Augen suchend, in Tierhaltung ihr entgegenatmet; vorsorglich sie auf den Apfelschimmel hebt, als w"are sie seine "uber alles geliebte Enkelin, die sich auf gef"ahrliche Fahrt begibt; sich nicht entschliessen kann, das Peitschenzeichen zu geben; schliesslich in Selbst"uberwindung es knallend gibt; neben dem Pferde mit offenem Munde einherl"auft; die Spr"unge der Reiterin scharfen Blickes verfolgt; ihre Kunstfertigkeit kaum begreifen kann; mit englischen Ausrufen zu warnen versucht; die reifenhaltenden Reitknechte w"utend zu peinlichster Achtsamkeit ermahnt; vor dem grossen Saltomortale das Orchester mit aufgehobenen H"anden beschw"ort, es m"oge schweigen; schliesslich die Kleine vom zitternden Pferde hebt, auf beide Backen k"usst und keine Huldigung des Publikums f"ur gen"ugend erachtet; w"ahrend sie selbst, von ihm gest"utzt, hoch auf den Fussspitzen, vom Staub umweht, mit ausgebreiteten Armen, zur"uckgelehntem K"opfchen ihr Gl"uck mit dem ganzen Zirkus teilen will – da dies so ist, legt der Galeriebesucher das Gesicht auf die Br"ustung und, im Schlussmarsch wie in einem schweren Traum versinkend, weint er, ohne es zu wissen.

4. EIN ALTES BLATT

Es ist, als w"are viel vernachl"assigt worden in der Verteidigung unseres Vaterlandes. Wir haben uns bisher nicht darum gek"ummert und sind unserer Arbeit nachgegangen; die Ereignisse der letzten Zeit machen uns aber Sorgen.

Ich habe eine Schusterwerkstatt auf dem Platz vor dem kaiserlichen Palast. Kaum "offne ich in der Morgend"ammerung meinen Laden, sehe ich schon die Eing"ange aller hier einlaufenden Gassen von Bewaffneten besetzt. Es sind aber nicht unsere Soldaten, sondern offenbar Nomaden aus dem Norden. Auf eine mir unbegreifliche Weise sind sie bis in die Hauptstadt gedrungen, die doch sehr weit von der Grenze entfernt ist. Jedenfalls sind sie also da; es scheint, dass jeden Morgen mehr werden.

Ihrer Natur entsprechend lagern sie unter freiem Himmel, denn Wohnh"auser verabscheuen sie. Sie besch"aftigen sich mit dem Sch"arfen der Schwerter, dem Zuspitzen der Pfeile, mit "Ubungen zu Pferde. Aus diesem stillen, immer "angstlich rein gehaltenen Platz haben sie einen wahren Stall gemacht. Wir versuchen zwar manchmal aus unseren Gesch"aften hervorzulaufen und wenigstens den "argsten Unrat wegzuschaffen, aber es geschieht immer seltener, denn die Anstrengung ist nutzlos und bringt uns "uberdies in die Gefahr, unter die wilden Pferde zu kommen oder von den Peitschen verletzt zu werden.

Sprechen kann man mit den Nomaden nicht. Unsere Sprache kennen sie nicht, ja sie haben kaum eine eigene. Unter einander verst"andigen sie sich "ahnlich wie Dohlen. Immer wieder h"ort man diesen Schrei der Dohlen. Unsere Lebensweise, unsere Einrichtungen sind ihnen ebenso unbegreiflich wie gleichg"ultig. Infolgedessen zeigen sie sich auch gegen jede Zeichensprache ablehnend. Du magst dir die Kiefer verrenken und die H"ande aus den Gelenken winden, sie haben dich doch nicht verstanden und werden dich nie verstehen. Oft machen sie Grimassen; dann dreht sich das Weiss ihrer Augen und Schaum schwillt aus ihrem Munde, doch wollen sie damit weder etwas sagen noch auch erschrecken; sie tun es, weil es so ihre Art ist. Was sie brauchen, nehmen sie. Man kann nicht sagen, dass sie Gewalt anwenden. Vor ihrem Zugriff tritt man beiseite und "uberl"asst ihnen alles.

Auch von meinen Vorr"aten haben sie manches gute St"uck genommen. Ich kann aber dar"uber nicht klagen, wenn ich zum Beispiel zusehe, wie es dem Fleischer gegen"uber geht. Kaum bringt er seine Waren ein, ist ihm schon alles entrissen und wird von den Nomaden verschlungen. Auch ihre Pferde fressen Fleisch; oft liegt ein Reiter neben seinem Pferd und beide n"ahren sich vom gleichen Fleischst"uck, jeder an einem Ende. Der Fleischhauer ist "angstlich und wagt es nicht, mit den Fleischlieferungen aufzuh"oren. Wir verstehen das aber, schiessen Geld zusammen und unterst"utzen ihn. Bek"amen die Nomaden kein Fleisch, wer weiss, was ihnen zu tun einfiele; wer weiss allerdings, was ihnen einfallen wird, selbst wenn sie t"aglich Fleisch bekommen.

Letzthin dachte der Fleischer, er k"onne sich wenigstens die M"uhe des Schlachtens sparen, und brachte am Morgen einen lebendigen Ochsen. Das darf er nicht mehr wiederholen. Ich lag wohl eine Stunde ganz hinten in meiner Werkstatt platt auf dem Boden und alle meine Kleider, Decken und Polster hatte ich "uber mir aufgeh"auft, nur um das Gebr"ull des Ochsen nicht zu h"oren, den von allen Seiten die Nomaden ansprangen, um mit den Z"ahnen St"ucke aus seinem warmen Fleisch zu reissen. Schon lange war es still, ehe ich mich auszugehen getraute; wie Trinker um ein Weinfass lagen sie m"ude um die Reste des Ochsen.

Gerade damals glaubte ich den Kaiser selbst in einem Fenster des Palastes gesehen zu haben; niemals sonst kommt er in diese "ausseren Gem"acher, immer nur lebt er in dem innersten Garten; diesmal aber stand er, so schien es mir wenigstens, an einem der Fenster und blickte mit gesenktem Kopf auf das Treiben vor seinem Schloss.

»Wie wird es werden?« fragen wir uns alle. »Wie lange werden wir diese Last und Qual ertragen? Der kaiserliche Palast hat die Nomaden angelockt, versteht es aber nicht, sie wieder zu vertreiben. Das Tor bleibt verschlossen; die Wache, fr"uher immer festlich ein- und ausmarschierend, h"alt sich hinter vergitterten Fenstern. Uns Handwerkern und Gesch"aftsleuten ist die Rettung des Vaterlandes anvertraut; wir sind aber einer solchen Aufgabe nicht gewachsen; haben uns doch auch nie ger"uhmt, dessen f"ahig zu sein. Ein Missverst"andnis ist es, und wir gehen daran zugrunde.«

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