Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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Ich war beinahe besinnungslos vor Wut und Schmerz, ich vermochte kein Glied zu ruhren. Endlich wirkte die Warme wohltatig auf mich, ich fuhlte meine Gedanken sich ordnen.»Ha«, klagte ich,»welch neue bittere Tauschung des Lebens! – Das ist also die Liebe, die ich schon so herrlich besungen, die das Hochste sein, die uns mit namenloser Wonne erfullen, die uns in den Himmel tragen soll! – Ha! – mich hat sie in die Gosse geworfen! – ich entsage einem Gefuhl, das mir nichts eingebracht als Bisse, ein abscheuliches Bad, und niedertrachtige Einmummung in schnoden Flanell!«– Aber kaum war ich wieder in Freiheit und genesen, als aufs neue Miesmies mir unaufhorlich vor Augen stand, und ich, jener ausgestandenen Schmach wohl eingedenk, zu meinem Entsetzen gewahrte, dass ich noch in Liebe. Mit Gewalt nahm ich mich zusammen, und las als ein vernunftiger gelehrter Kater den Ovid nach, da ich mich wohl erinnerte, in der» Ars amandi «auch auf Rezepte gegen die Liebe gestossen zu sein.
Ich las die Verse:
Venus otia amat. Qui finem quaeris amorisCedit amor rebus; res age, tutus eris;Mit neuem Eifer wollt' ich mich dieser Vorschrift gemass in die Wissenschaften vertiefen, aber Miesmies hupfte auf jedem Blatte mir vor den Augen, Miesmies dachte – las – schrieb ich! – Der Autor, dacht' ich muss andere Arbeit meinen, und da ich von andern Katern gehort, dass die Mausejagd ein ungemein angenehmes zerstreuendes Vergnugen sein solle, war es ja moglich, das unter den rebus auch die Mausejagd begriffen sein konnte. Ich begab mich daher, sowie es finster worden, in den Keller, und durchstrich die dustern Gange indem ich sang:»Im Walde schlich ich still und wild, gespannt mein Feuerrohr –
Ha! – statt des Wildes, das ich zu jagen trachtete, schaute ich aber wirklich ihr holdes Bild, aus den tiefen Grunden trat es wirklich uberall hervor! Und dabei zerschnitt der herbe Liebesschmerz mein nur zu leicht verwundbar Herz! Und ich sprach:»Lenk auf mich die holden Blicke, Jungfraulichen Morgenschein, Und als Braut und Braut'gam wandeln Murr und Miesmies selig heim. «Also sprach ich, freud'ger Kater, Hoffend auf des Sieges Preis. – Armer! mit verhullten Augen floh die scheue Katz dachein! —
So geriet ich Bedaurenswurdiger immer mehr und mehr in Liebe, die ein feindlicher Stern mir zum Verderben in meiner Brust entzundet zu haben schien. Wutend, mich auflehnend gegen mein Schicksal, fiel ich auf's neue her uber den Ovid und las die Verse:
Exige quod cantet, si qua est sine voce puella,Non didicit chordas tangere, posce lyram.«Ha«, rief ich zu ihr hinauf auf's Dach; – Ha ich werde sie wiederfinden die susse Huldin, da, wo ich sie zum erstenmal erblickte aber singen soll sie, ja singen, und bringt sie nur eine einzige falsche Note heraus, dann ist's vorbei, dann bin ich geheilt, gerettet. – Der Himmel war heiter, und der Mond bei dem ich der holden Miesmies Liebe zugeschworen, schien wirklich, als ich auf das Dach stieg, um sie zu erlauern. Lange gewahrte ich sie nicht, und meine Seufzer wurden laute Liebesklagen.
Ich stimmte endlich ein Liedlein an im wehmutigsten Ton, ungefahr folgendermassen:
Rauschende Walder, flusternde QuellenStromender Ahnung spielende WellenMit mir o klaget!Saget o saget!Miesmies die Holde, wo ist sie gegangen,Jungling in Liebe, Jungling wo hat er,Miesmies die susse Huldin umfangen?Trostet den Bangen.Trostet den gramverwilderten Kater!Mondschein o Mondschein,Sag' mir wo thront meinArtiges Kindlein, liebliches Wesen!Wutender Schmerz kann niemals genesen!Trostloser liebender kluger Berater,Eil ihn zu rettenVon Liebesketten!Hilf ihm, o hilf dem verzweifelnden Kater.Seht ein, geliebte Leser! dass ein wackerer Dichter weder sich im rauschenden Walde befinden, noch an einer flusternden Quelle sitzen darf, ihm stromen der Ahnung spielende Wellen doch zu, und in diesen Wellen erschaut er doch alles, was er will, und kann davon singen wie er will. Sollte jemand uber die hohe Vortrefflichkeit obiger Verse zu sehr in Erstaunen geraten, so will ich bescheiden ihn darauf aufmerksam machen, dass ich mich in der Ekstase befand, in verliebter Begeisterung, und nun weiss jeder, dass jedem, der von dem Liebesfieber ergriffen, konnt' er auch sonst kaum Wonne auf Sonne, und Triebe auf Liebe reimen, konnt' er, sag' ich, auf diese nicht ganz ungewohnlichen Reime trotz aller Anstrengung, sich durchaus nicht besinnen, plotzlich das Dichten ankommt und er die vortrefflichsten Verse heraussprudeln muss, wie einer, der vom Schnupfen befallen, unwiderstehlich ausbricht in schreckliches Niesen. Wir haben dieser Ekstase prosaischer Naturen schon viel Vortreffliches zu verdanken, und schon ist es, dass oft dadurch menschliche Miesmiese von nicht sonderlicher beaute auf einige Zeit einen herrlichen Ruf erhielten. Geschieht das nun am durren Holz, was muss sich am grunen begeben? – Ich meine, werden schon hundische Prosaiker, bloss durch die Liebe umgesetzt in Dichter, was muss erst wirklichen Dichtern geschehen in diesem Stadium des Lebens? – Nun! weder im rauschenden Walde sass ich, noch an flusternder Quelle, ich sass auf einem kahlen, hohen Dache, das bisschen Mondschein war kaum zu rechnen, und doch flehte ich in jenen meisterhaften Versen, Walder und Quellen und Wellen, und zuletzt meinen Freund Ovid an, mir zu helfen, mir beizustehen in der Liebesnot. Etwas schwer wurde es mir, Reime zu den Namen meines Geschlechts zu finden, den gewohnlichen Vater wusste ich selbst in der Begeisterung nicht anzubringen. Dass ich aber wirklich Reime fand, bewies mir auf's neue den Vorzug meines Geschlechts vor dem menschlichen, da auf das Wort Mensch sich bekanntlich nichts reimt, weshalb, wie schon irgend ein Witzbold von Theaterdichter bemerkt hat, der Mensch ein ungereimtes Tier ist. Ich bin dagegen ein gereimtes. – Nicht vergebens hatte ich die Tone der schmerzhaften Sehnsucht angeschlagen, nicht vergebens Walder, Quellen, den Mondschein beschworen, mir die Dame meiner Gedanken zuzufuhren, hinter dem Schornstein kam die Holde daherspaziert mit leichten, anmutigen Schritten.»Bist du es, lieber Murr, der so schon singt?«So rief mir Miesmies entgegen.»Wie«, erwiderte ich mit freudigem Erstaunen,»du kennst mich, susses Wesen?«»Ach, ja wohl«, sprach sie,»du gefielst mir gleich beim ersten Blick, und es hat mir in der Seele weh getan, dass meine beiden unartigen Vettern dich so unbarmherzig in die Gosse«—»Schweigen wir«, unterbrach ich sie,»von der Gosse, bestes Kind – o sage mir, ob du mich liebst?« —»Ich habe mich«, sprach Miesmies weiter,»nach deinen Verhaltnissen erkundigt, und erfahren, dass du Murr hiessest, und bei einem sehr gutigen Mann nicht allein dein reichliches Auskommen hattest, sondern auch alle Bequemlichkeiten des Lebens genossest, ja, diese wohl mit einer zartlichen Gattin teilen konntest! – o ich liebe dich sehr, guter Murr!«—»Himmel, rief ich im hochsten Entzucken, ist es moglich, ist es Traum, ist es Wahrheit? – O halte dich, – halte dich Verstand, schnappe nicht uber! – Ha! bin ich noch auf der Erde? – sitze ich noch auf dem Dache? – schwebe ich noch in den Wolken? Bin ich noch der Kater Murr, bin ich nicht der Mann im Monde? – Komm an meinen Busen Geliebte – doch sage mir erst deinen Namen Schonste. – Ich heisse Miesmies, erwiderte die Kleine suss lispelnd in holder Verschamtheit, und setzte sich traulich neben mir hin. Wie schon sie war! Silbern glanzte ihr weisser Pelz im Mondschein, in sanftem, schmachtendem Feuer funkelten die grunen Auglein. Du —
(Mak. Bl.) – Hattest, geliebter Leser, das freilich schon etwas fruher erfahren konnen, aber der Himmel gebe, dass ich nicht noch mehr querfeldein springen muss, als es bis jetzt schon geschehen. – Also, wie gesagt, dem Vater des Prinzen Hektor war es ebenso ergangen wie dem Fursten Irenaus: er hatte, selbst wusste er nicht wie, sein Landlein aus der Tasche verloren. Prinz Hektor, der zu nichts Wenigerem aufgelegt, als zum stillen, friedlichen Leben, der, unerachtet ihm der Furstenstuhl unter den Beinen weggezogen, doch gern aufrecht stehen, und statt zu regieren, wenigstens kommandieren wollte, nahm franzosische Dienste, war ungemein tapfer, ging aber, als ihn eines Tages ein Zittermadel anplarrte:»Kennst du das Land, wo die Zitronen gluhn?«sofort nach dem Lande, wo dergleichen Zitronen wirklich gluhn, das heisst nach Neapel, und zog statt der franzosischen Uniform eine neapolitanische Uniform an. Er wurde namlich so geschwinde General, wie es nur irgendeinem Prinzen geschehen kann. – Als der Vater des Prinzen Hektor gestorben, schlug Furst Irenaus das grosse Buch auf, worin er selbst samtliche furstliche Haupter in Europa verzeichnet, und notierte den erfolgten Tod seines furstlichen Freundes und Gefahrten im Malheur. Nachdem dies geschehen, schaute er lange den Namen des Prinzen Hektor an, rief dann sehr laut:»Prinz Hektor!«und klappte den Folianten so heftig zu, dass der Hofmarschall entsetzt drei Schritte zuruckprallte. Nun stand der Furst auf, ging langsam im Zimmer auf und ab, und schnupfte so viel Spaniol, als notig, um eine ganze Welt von Gedanken in Ordnung zu bringen. Der Hofmarschall sprach viel von dem seligen Herrn, der nachst vielen Reichtumern ein aimables Herz besessen, vom jungen Prinzen Hektor, der vergottert werde in Neapel von dem Monarchen und der Nation usw. Furst Irenaus schien das alles nicht zu beachten, er blieb plotzlich dicht vor dem Hofmarschall stehen, schaute ihn an mit dem entsetzlichen Friedrichsblick, sprach sehr stark:»Peutetre!«und verschwand in das Nebenkabinett.
«Gott«, sprach der Hofmarschall,»der gnadigste Furst haben gewiss die konsiderabelsten Gedanken, vielleicht gar Plane«.
Es war dem so. – Furst Irenaus dachte an den Reichtum des Prinzen, an seine Verwandtschaft mit machtigen Hauptern, er rief sich die Uberzeugung in's Gedachtnis, dass Prinz Hektor gewiss noch den Degen mit dem Zepter vertauschen werde, und ihm kam der Gedanke, dass die Vermahlung des Prinzen mit der Prinzessin Hedwiga von den erspriesslichsten Folgen sein konne. Ganz im geheimsten Geheim musste der Kammerherr, den der Furst sogleich absandte, um dem Prinzen seinerseits namhaftes Beileid uber den Tod des Vaters zu bezeigen, das bis auf die Farbe der Haut wohlgetroffene Miniaturbild der Prinzessin in die Tasche stecken. – Es ist hier zu bemerken, dass die Prinzessin in der Tat eine vollendete Schonheit zu nennen gewesen, hatte ihre Haut weniger in's Gelbe gespielt. Daher war ihr die Beleuchtung des Kerzenscheins gunstig. —
Der Kammerherr richtete den geheimen Auftrag des Fursten – niemanden, selbst nicht der Furstin, hatte dieser das mindeste von seiner Absicht vertraut, – sehr geschickt aus. Als der Prinz das Gemalde sah, geriet er beinahe in dieselbe Ekstase, wie sein prinzlicher Kollege in der» Zauberflote«. Wie Tamino hatte er beinahe, wenn auch nicht gesungen,»Doch gerufen:»dies Bildnis ist bezaubernd schon«, und dann weiter:»Soll die Empfindung Liebe sein, ja, ja die Liebe ist's allein!«– Bei Prinzen ist es sonst eben nicht die Liebe allein, die sie streben lasst nach der Schonsten, indessen dachte Prinz Hektor gerade nicht an andere Verhaltnisse, als er sich hinsetzte und an den Fursten Irenaus schrieb: es moge ihm vergonnet sein, sich um Herz und Hand der Prinzessin Hedwiga zu bewerben.
Furst Irenaus antwortete, dass, da er mit Freuden in eine Vermahlung willige, die er schon seines verstorbenen furstlichen Freundes halber aus dem Grunde des Herzens wunsche, es gar keiner weitern Bewerbung eigentlich bedurfe. Da aber die Form sauviert werden musse, moge der Prinz einen artigen Mann von dem gehorigen Stande nach Sieghartsweiler senden, den er ja auch gleich mit Vollmacht versehen konne, die Trauung zu vollziehen, und nach altem schonem Herkommen, gestiefelt und gespornt, den Bettsprung zu unternehmen. Der Prinz schrieb zuruck:»Ich komme selbst, mein Furst!«—
Dem Fursten war das nicht recht, er hielt die Trauung durch einen Bevollmachtigten fur schoner, erhabner, furstlicher, hatte sich im Innersten auf das Fest gefreut, und beruhigte sich nur damit, dass vor dem Beilager ein grosses Ordensfest gefeiert werden konne. Er wollte namlich das Grosskreuz eines Hausordens, den sein Vater gestiftet hatte, und den kein Ritter mehr trug, nicht tragen durfte, dem Prinzen umhangen auf die solenneste Weise.