Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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«So«, sprach Kreisler sehr weich und mild wie er pflegte, wenn ein Sturm im Innern vorubergegangen,»so war in Leonhards Brust nicht die Liebe des Kunstlers aufgegangen.«
«Was wollen Sie damit sagen, Kreisler«, fragte die Prinzessin, indem sie sich rasch umwandte.
«Als ich«, erwiderte Kreisler sanft lachelnd,»einst in einem hinlanglich toll lustigen Schauspiel einen Witzbold von Diener die Spielleute mit der sussen Anrede beehren horte: ›Ihr guten Leute und schlechten Musikanten‹, teilte ich, wie der Weltenrichter, flugs alles Menschenvolk in zwei verschiedene Haufen, einer davon bestand aber aus den guten Leuten, die schlechte, oder vielmehr gar keine Musikanten sind, der andere aber aus den eigentlichen Musikanten. Doch niemand sollte verdammt, sondern alle sollten selig werden, wiewohl auf verschiedene Weise. – Die guten Leute verlieben sich leichtlich in ein paar schone Augen, strecken beide Arme aus nach der angenehmen Person, aus deren Antlitz besagte Augen strahlen, schliessen die Holde ein in Kreise, die, immer enger und enger werdend, zuletzt zusammenschrumpfen zum Trauring, den sie der Geliebten an den Finger stecken als pars pro toto – Sie verstehen einiges Latein, gnadigste Prinzess – als pars pro toto sag' ich, als Glied der Kette, an der sie die in Liebeshaft Genommene heimfuhren in das Ehestandsgefangnis. Dabei schreien Sie denn ungemein: ›O Gott!‹ – oder ›o Himmel!‹ oder, sind sie der Astronomie ergeben, ›o ihr Sterne!‹ oder haben sie Inklination zum Heidentum, ›o all' ihr Gotter! sie ist mein, die Schonste, all' mein sehnend Hoffen erfullt!‹ – Also larmend, gedenken die guten Leute es nachzumachen den Musikanten, jedoch vergebens, da es mit der Liebe dieser durchaus sich anders verhalt. – Es begibt sich wohl, dass besagten Musikanten unsichtbare Hande urplotzlich den Flor wegziehen, der ihre Augen verhullte, und sie erschauen, auf Erden wandelnd, das Engelsbild, das, ein susses unerforschtes Geheimnis, schweigend ruhte in ihrer Brust. Und nun lodert auf in reinem Himmelsfeuer, das nur leuchtet und warmt, ohne mit verderblichen Flammen zu vernichten, alles Entzucken, alle namenlose Wonne des hoheren aus dem Innersten emporkeimenden Lebens, und tausend Fuhlhorner streckt der Geist aus in brunstigem Verlangen, und umnetzt die, die er geschaut, und hat sie, und hat sie nie, da die Sehnsucht ewig durstend fortlebt! – Und sie, sie selbst ist es, die Herrliche, die, zum Leben gestaltete Ahnung, aus der Seele des Kunstlers hervorleuchtet als Gesang – Bild – Gedicht! – Ach, Gnadigste, glauben Sie mir, sein Sie uberzeugt, dass wahre Musikanten, die mit ihren leiblichen Armen und den daran gewachsenen Handen nichts tun, als passabel musizieren, sei es nun mit der Feder, mit dem Pinsel oder sonst, in der Tat nach der wahrhaften Geliebten nichts ausstrecken, als geistige Fuhlhorner, an denen weder Hand noch Finger befindlich, die mit konvenabler Zierlichkeit einen Trauring erfassen und anstecken konnten an den kleinen Finger der Angebeteten; schnode Mesalliancen sind daher durchaus nicht zu befurchten, und scheint ziemlich gleichgultig, ob die Geliebte, die in dem Innern des Kunstlers lebt, eine Furstin ist oder eine Backerstochter, insofern letztere nur keine Eule. Besagte Musikanten schaffen, sind sie in Liebe gekommen, mit der Begeisterung des Himmels, herrliche Werke und sterben weder elendiglich dahin an der Schwindsucht, noch werden sie wahnsinnig. Sehr verdenke ich es daher dem Herrn Leonhard Ettlinger, dass er in einige Raserei verfiel, er hatte, nach der Art echter Musikanten, die durchlauchtige Frau Furstin ohne allen Nachteil lieben konnen, wie er nur wollte!«
Die humoristischen Tone, die der Kapellmeister anschlug, gingen bei dem Ohr der Prinzessin voruber, unvernommen oder ubertont von dem Nachhall der Saite, die er beruhrt, und die, in der weiblichen Brust scharfer gespannt, starker vibrieren musste als alle ubrigen.
«Die Liebe des Kunstlers«, sprach sie, indem sie niedersank in den Lehnstuhl und wie im Nachsinnen den Kopf auf die Hand stutzte,»die Liebe des Kunstlers! – so geliebt zu werden! – o es ist ein schoner herrlicher Traum des Himmels – nur ein Traum, ein leerer Traum.«—
«Sie scheinen«, nahm Kreisler das Wort,»Gnadigste, fur Traume eben nicht sehr portiert, und doch sind es lediglich die Traume, in denen uns recht die Schmetterlingsflugel wachsen, so dass wir dem engsten, festesten Kerker zu entfliehen, uns bunt und glanzend in die hohen, in die hochsten Lufte zu erheben vermogen. Jeder Mensch hat doch am Ende einen angebornen Hang zum Fliegen, und ich habe ernste honette Leute gekannt, die am spaten Abend sich bloss mit Champagner, als einem dienlichen Gas, fullten um in der Nacht, Luftballon und Passagier zugleich, aufsteigen zu konnen.«—
«Sich so geliebt zu wissen«, wiederholte die Prinzessin noch bewegter als vorher.
«Und«, sprach, als die Prinzessin schwieg, Kreisler weiter, was die Liebe des Kunstlers betrifft, wie ich sie zu schildern mich bemuht, so haben Sie, Gnadigste! freilich das bose Beispiel des Herrn Leonhard Ettlinger vor Augen, der Musikant war, und lieben wollte wie die guten Leute, woruber sein schoner Verstand freilich etwas wacklicht werden konnte, aber eben deshalb mein ich, war Herrn Leonhard kein echter Musikant. Diese tragen die erkorne Dame im Herzen und wollen nichts als ihr zu Ehren singen, dichten, malen, und sind in der vorzuglichsten Courtoisie den galanten Rittern zu vergleichen, ja was unschuldsvolle Gesinnung betrifft, ihnen vorzuziehen, da sie nicht verfahren wie sonst diese, die blutdurstiger Weise, waren nicht gleich Riesen, Drachen bei der Hand, die schatzbarsten Leute niederstreckten in den Staub, um der Herzensdame zu huldigen!«—
«Nein«, rief die Prinzessin, wie erwachend aus einem Traum,»es ist unmoglich, dass in der Brust des Mannes ein solch reines Vestas Feuer sich entzunden sollte! – Was ist die Liebe des Mannes anders, als die verraterische Waffe, die er gebraucht, einen Sieg zu feiern, der das Weib verdirbt, ohne ihn zu beglucken.«—
Kreisler wollte sich eben uber solche absonderlichen Gesinnungen einer siebzehn-, achtzehnjahrigen Prinzessin hochlich verwundern, als die Ture aufging, und Prinz Ignatius hineintrat.
Der Kapellmeister war froh, ein Gesprach zu enden, das er sehr gut mit einem wohleingerichteten Duett verglich, in dem jede Stimme ihrem eigentumlichen Charakter getreu bleiben muss. Wahrend die Prinzessin, so behauptete er, im wehmutigen Adagio beharrt, und nur hie und da einen Mordent, einen Pralltriller angebracht, sei er als ein vorzuglicher Buffo und erzkomischer Chanteur mit einer ganzen Legion kurzer Noten parlando dazwischengefahren, so dass er, da das Ganze ein wahres Meisterstuck der Komposition und der Ausfuhrung zu nennen, nichts weiter gewunscht, als der Prinzessin und sich selbst zuhoren zu konnen aus irgendeiner Loge oder einem schicklichen Sperrsitz.
Also Prinz Ignatius trat hinein mit einer zerbrochenen Tasse in der Hand, schluchzend und weinend.
Es ist notig, zu sagen, dass der Prinz, unerachtet hoch in die zwanzig, doch sich noch immer nicht von den Lieblingsspielen der Kinderjahre trennen konnte. Ganz vorzuglich liebte er schone Tassen, mit denen er stundenlang in der Art spielen konnte, dass er sie in Reihen vor sich hinstellte auf den Tisch, und diese Reihen immer anders und anders ordnete, so dass bald die gelbe Tasse neben der roten, dann die grune bei der roten usw. stehen musste. Dabei freute er sich so innig, so herzlich, wie ein frohes zufriedenes Kind.
Das Ungluck, woruber er jetzt lamentierte, bestand darin, dass ihm der kleine Mops unversehens auf den Tisch gesprungen war, und die schonste der Tassen herabgeworfen hatte.
Die Prinzessin versprach, dafur zu sorgen, dass er eine Mundtasse im neuesten Geschmack aus Paris erhalten solle. Da gab er sich zufrieden, und lachelte mit dem ganzen Gesicht. Jetzt erst schien er den Kapellmeister zu bemerken. Er wandte sich zu ihm mit der Frage, ob er auch viele schone Tassen besitze. Kreisler wusste schon, von Meister Abraham hatte er es erfahren, was man darauf zu antworten. Er versicherte namlich, dass er keineswegs solche schone Tassen besitze, wie der gnadigste Herr, und dass es ihm auch ganz unmoglich sei, so viel Geld darauf zu verwenden, als der gnadige Herr es tue.
«Sehn Sie wohl«, erwiderte Ignaz sehr vergnugt,»ich bin ein Prinz und kann deshalb schone Tassen haben, wie ich nur mag, aber das konnen Sie nicht, weil Sie kein Prinz sind, denn weil ich nun einmal ganz gewiss ein Prinz bin, so sind schone Tassen —.
Fraulein Nannette sturzte hinein, und rief laut:»Вer Furst, der Furst mit dem Prinzen!«—»O mein Gott«, sprach die Prinzessin,»meine Toilette, in der Tat, Kreisler, wir haben die Stunden verplaudert, ohne daran zu denken. – Ich habe mich ganz vergessen! Mich und den Fursten und den Prinzen. «Sie verschwand mit Nannetten in das Nebengemach. Prinz Ignaz liess sich in seinem Geschaft gar nicht storen.
Schon rollte der Staatswagen des Fursten heran; als Kreisler sich unten an der Haupttreppe befand, stiegen eben die beiden Laufer in Staatslivree aus der Wurst. – Das muss naher erklart werden.
Furst Irenaus liess nicht ab von dem alten Brauch; und so hatte er zur selben Zeit, als kein schnellfussiger Hanswurst in bunter Jacke vor den Pferden herzulaufen genotigt, wie ein gehetztes Tier, in der zahlreichen Dienerschaft von allen Waffen auch noch zwei Laufer, artige hubsche Leute von gesetzten Jahren, wohlgefuttert, und nur zuweilen von Unterleibsbeschwerden geplagt, wegen der sitzenden Lebensweise. Viel zu menschenfreundlich war namlich der Furst gesinnt, um irgendeinem Diener zuzumuten, dass er sich zu Zeiten umsetzte in ein Windspiel, oder einen andern vergnugten Koter, um indessen doch die gehorige Etikette im Ansehen zu erhalten, mussten die beiden Laufer, fuhr der Furst in Gala aus, vorauffahren auf einer passablen Wurst, und an schicklichen Stellen, wo z. B. einige Gaffer sich versammelt, etwas die Beine ruhren als Andeutung des wirklichen Laufs. – Es war hubsch anzusehen. —