Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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Prinz Hektor kam also nach Sieghartsweiler, um die Prinzessin Hedwiga heimzufuhren, und nebenher das Grosskreuz eines verschollenen Hausordens zu erhalten. Es schien ihm erwunscht, dass der Furst seine Absicht geheim gehalten, er bat vorzuglich, rucksichts Hedwiga's in diesem Schweigen zu verharren, da er erst der vollen Liebe Hedwiga's versichert sein musse, ehe er mit seiner Bewerbung hervortreten konne.
Der Furst verstand nicht recht, was der Prinz damit sagen wollte, und meinte, dass, so viel er wisse und sich erinnere, diese Form, was namlich die Versicherung der Liebe vor dem Beilager betrafe, in furstlichen Hausern niemals ublich gewesen sei. Verstehe der Prinz aber darunter weiter nichts, als die Ausserung eines gewissen Attachements, so durfe das vorzuglich wahrend des Brautstandes wohl eigentlich nicht stattfinden, konne aber, da doch die leichtsinnige Jugend uber alles, was die Etikette gebiete, hinwegzuspringen geneigt, ja in der Kurze abgemacht werden, drei Minuten vor dem Ringewechseln. Herrlich und erhaben war's freilich, wenn das furstliche Brautpaar in diesem Augenblick einigen Abscheu gegeneinander bewiese, leider waren aber diese Regeln des hochsten Anstandes in neuester Zeit zu leeren Traumen geworden.
Als der Prinz Hedwiga zum erstenmal erblickte, flusterte er seinem Adjutanten in, den andern unverstandlichem, neapolitanischen Dialekt zu:»Bei allen Heiligen! sie ist schon, aber unfern des Vesuvs geboren, und sein Feuer blitzt aus ihren Augen.«
Prinz Ignaz hatte sich bereits sehr angelegentlich erkundigt, ob es in Neapel schone Tassen gebe, und wieviel davon Prinz Hektor besitze, so dass dieser, durch die ganze Tonleiter der Begrussungen durchgestiegen, sich wieder zu Hedwiga wenden wollte, als die Turen sich offneten, und der Furst den Prinzen einlud zu der Prachtszene, die er durch Zusammenberufung samtlicher Personen, welche nur im mindesten was Hoffahiges an und in sich trugen, im Prunksaal bereitet. Er war diesmal in dem Auswahlen weniger strenge gewesen als sonst, da der Zirkel in Sieghartshof eigentlich fur eine Landpartie zu achten. Auch die Benzon war zugegen mit Julien.
Prinzessin Hedwiga war still, in sich gekehrt, teilnahmlos, sie schien den schonen Fremdling aus dem Suden nicht mehr, nicht weniger zu beachten, als jede andere neue Erscheinung am Hofe, und fragte ziemlich murrisch ihr Hoffraulein, die rotwangige Nannette, ob sie narrisch geworden, als diese nicht aufhoren konnte, ihr in's Ohr zu flustern, der fremde Prinz sei doch gar zu hubsch und eine schonere Uniform habe sie zeit ihres Lebens nicht gesehen.
Prinz Hektor entfaltete nun vor der Prinzessin den bunten prahlenden Pfauenschweif seiner Galanterie, sie, beinahe verletzt durch den Ungestum seiner susslichen Verzucktheit, fragte nach Italien, nach Neapel. Der Prinz gab ihr die Beschreibung eines Paradieses, in dem sie als herrschende Gottin wandelte. Er bewahrte sich als ein Meister in der Kunst, zu der Dame so zu sprechen, dass alles, alles sich gestaltet, als ein Hymnus, der ihre Schonheit, ihre Anmut preiset. Mitten aus diesem Hymnus sprang aber die Prinzessin heraus, und hin zu Julien, die sie in der Nahe gewahrte. Die druckte sie an ihre Brust, nannte sie mit tausend zartlichen Namen, rief:»Das ist meine liebe, liebe Schwester, meine herrliche, susse Julia!«als der Prinz etwas betroffen uber Hedwiga's Flucht, hinzutrat. Der Prinz heftete einen langen, seltsamen Blick auf Julien, so dass diese, uber und uber errotend, die Augen niederschlug, und sich scheu zur Mutter wandte, die hinter ihr stand. Aber die Prinzessin umarmte sie auf's Neue und rief:»Meine liebe, liebe Julia«, und dabei traten ihr die Tranen in die Augen.»Prinzessin«, sprach die Benzon leise,»warum dieses krampfhafte Benehmen?«Die Prinzessin, ohne die Benzon zu beachten, drehte sich zu dem Prinzen, dem wirklich uber alles das der Strom der Rede versiegt, und war sie erst still, ernst, missmutig gewesen, so schweifte sie beinahe jetzt aus in seltsamer, krampfhafter Lustigkeit. Endlich liessen die zu stark gespannten Saiten nach, und die Melodien, die nun aus ihrem Innern heraustonten, waren weicher, milder, jungfraulich zarter. Sie war liebenswurdiger als jemals, und der Prinz schien ganz und gar hingerissen. Endlich begann der Tanz. Der Prinz, nachdem mehrere Tanze gewechselt, erbot sich, einen neapolitanischen Nationaltanz anzufuhren, und es gelang ihm bald, den Tanzenden die volle Idee davon zu geben, so dass sich alles gar artig fugte, und selbst der leidenschaftlich zartliche Charakter des Tanzes gut hervortrat.
Niemand hatte aber eben diesen Charakter so ganz begriffen, als Hedwiga, die mit dem Prinzen tanzte. Sie verlangte die Wiederholung, und als der Tanz zum zweitenmal geendet, bestand sie, des Mahnens der Benzon, die auf ihren Wangen schon die verdachtige Blasse wahrnahm, nicht achtend, darauf, zum drittenmal den Tanz auszufuhren, der ihr nun erst recht gelingen werde. Der Prinz war entzuckt. Er schwebte hin mit Hedwiga, die in jeder Bewegung die Anmut selbst schien. Bei einer der vielen Verschlingungen, die der Tanz gebot, druckte der Prinz die Holde sturmisch an die Brust, aber in demselben Augenblicke sank auch Hedwiga entseelt in seinen Armen zusammen. —
Der Furst meinte, eine unschicklichere Storung eines Hofballes konne es nicht geben, und nur das Land entschuldige vieles. —
Prinz Hektor hatte selbst die Ohnmachtige in ein benachbartes Zimmer auf ein Sofa getragen, wo ihr die Benzon die Stirne rieb mit irgendeinem starken Wasser, das der Leibarzt zur Hand gehabt. Dieser erklarte ubrigens die Ohnmacht fur einen Nervenzufall, den die Erhitzung des Tanzes veranlasst, und der sehr bald vorubergehen werde.
Der Arzt hatte recht, nach wenigen Sekunden schlug die Prinzessin mit einem tiefen Seufzer die Augen auf. Der Prinz, sobald er vernommen, die Prinzessin habe sich erholt, drang durch den dichten Kreis der Damen, von dem sie umschlossen, kniete nieder bei dem Sofa, klagte sich bitter an, dass er allein schuld sei an dem Begegnis, das ihm das Herz durchschneide. Sowie die Prinzessin ihn aber erblickte, rief sie mit allen Zeichen des Abscheues:»Fort!«fort, und sank auf's Neue in Ohnmacht.
«Kommen Sie«, sprach der Furst, indem er den Prinzen bei der Hand erfasste,»kommen Sie, bester Prinz, Sie wissen nicht, dass die Prinzessin oft an den seltsamsten Reverien leidet. Weiss der Himmel, auf welche sonderbare Weise Sie ihr in diesem Augenblick erschienen sind! – Imaginieren Sie sich, bester Prinz, schon als Kind – entre nous soit dit! – hielt mich einmal die Prinzessin einen ganzen Tag hindurch fur den Grossmogul, und pratendierte, ich solle in Samtpantoffeln ausreiten, wozu ich mich auch endlich entschloss, wiewohl nur im Garten.«
Prinz Hektor lachte dem Fursten ohne Umstande in's Gesicht, und rief nach dem Wagen.
Die Benzon musste, so wollt' es die Furstin aus Besorgnis fur Hedwiga, mit Julien im Schlosse bleiben. Sie wusste, welche psychische Macht sonst die Benzon uber die Prinzessin ubte, und ebenso, dass dieser psychischen Macht auch Krankheitszufalle der Art zu weichen pflegten. In der Tat geschah es auch diesmal, dass Hedwiga in ihrem Zimmer sich bald erholte, als die Benzon ihr unermudlich zugeredet mit sanften Worten. Die Prinzessin behauptete nichts Geringeres, als dass im Tanzen der Prinz sich in ein drachenartiges Ungeheuer verwandelt, und mit spitzer, gluhender Zunge ihr einen Stich ins Herz gegeben habe.»Gott behute«, rief die Benzon,»am Ende ist Prinz Hektor gar das mostro turchino aus der Gozzischen Fabel! – Welche Einbildungen! zuletzt wird es sich so begeben, wie mit Kreisler, den Sie fur einen bedrohlichen Wahnsinnigen hielten!«—»Nimmermehr«, rief die Prinzessin heftig, und setzte dann lachend hinzu: wahrhaftig, ich wollte nicht, dass mein guter Kreisler sich so plotzlich in das mostro turchino verwandelte, wie Prinz Hektor!«—
Als am fruhsten Morgen die Benzon, die bei der Prinzessin gewacht, in Juliens Zimmer trat, kam ihr diese entgegen, erblasst, ubernachtig, das Kopfchen gehangt, wie eine kranke Taube.»Was ist Dir, Julie«, rief ihr die Benzon, die nicht gewohnt, die Tochter in solchem Zustande zu sehen, erschrocken entgegen.»Ach Mutter«, sprach Julie ganz trostlos,»ach Mutter, niemals mehr in diese Umgebungen; mein Herz erbebt, wenn ich an die gestrige Nacht denke. – Es ist etwas Entsetzliches in diesem Prinzen; als er mich anblickte, ich kann Dir's nicht beschreiben, was in meinem Innern vorging. – Ein Blitzstrahl fuhr totend aus diesen dunklen, unheimlichen Augen, von dem getroffen ich Armste vernichtet werden konnte. – Lache mich nicht aus, Mutter, aber es war der Blick des Morders, der sein Opfer erkoren, das mit der Todesangst getotet wird, noch ehe der Dolch gezuckt! – Ich wiederhol' es, ein ganz fremdes Gefuhl, ich vermag es nicht zu nennen, bebte wie ein Krampf mir durch alle Glieder! – Man spricht von Basilisken, deren Blick, ein giftiger Feuerstrahl, augenblicklich totet, wenn man es wagt, sie anzuschauen. Der Prinz mag solchem bedrohlichen Untier gleichen.«
«Nun«, rief die Benzon laut lachend,»muss ich in der Tat glauben, dass es mit dem mostro turchino seine Richtigkeit hat, da der Prinz, ist er gleich der schonste, liebenswurdigste Mann, zweien Madchen erschienen ist als Drache, als Basilisk. Der Prinzessin traue ich die tollsten Einbildungen zu, aber dass meine ruhige sanfte Julie, mein susses Kind, sich hingeben sollte, narrischen Traumen.«—»Und Hedwiga«, unterbrach Julie die Benzon,»ich weiss nicht, welch' eine bose feindliche Macht sie losreissen von meinem Herzen, ja mich hineinsturzen will in den Kampf einer furchterlichen Krankheit, der in ihrem Innern wutet! – Ja, Krankheit nenne ich der Prinzessin Zustand, gegen den die Armste nichts vermag. Als sie gestern sich schnell abwandte von dem Prinzen, als sie mich liebkoste, umarmte, da fuhlte ich, wie sie in Fieberhitze gluhte. Und dann das Tanzen, das entsetzliche Tanzen! Du weisst Mutter, wie ich die Tanze hasse, in denen es den Mannern vergonnt, uns zu umschlingen. – Es ist mir, als mussten wir in dem Augenblick alles aufgeben, was Sitte und Anstand erfordern und den Mannern eine Ubermacht einraumen, die wenigstens den zartfuhlenden unter ihnen unerfreulich bleiben wird. – Und nun Hedwiga, die nicht aufhoren konnte, jenen sudlichen Tanz zu tanzen, der mir, je langer er dauerte, desto abscheulicher schien. Rechte teuflische Schadenfreude war es, die aus den Augen des Prinzen blitzte –
«Narrin«, sprach die Benzon,»was fallt Dir alles ein! – Doch! – ich kann Deine Gesinnung uber das alles nicht tadeln, bewahre sie treulich, aber sei nicht ungerecht gegen Hedwiga, denke uberhaupt gar nicht weiter nach, was mit ihr ist und mit dem Prinzen, schlage es Dir aus dem Sinn! – Willst Du, so werd' ich dafur sorgen, dass Du eine Zeitlang weder Hedwiga noch den Prinzen sehen darfst. Nein, Deine Ruhe soll nicht gestort werden, mein gutes, liebes Kind! Komm an mein Herz!«– Damit umarmte die Benzon Julien mit aller mutterlicher Zartlichkeit.
«Und«, fuhr Julie fort, indem sie das gluhende Antlitz an die Brust der Mutter druckte,»aus der entsetzlichen Unruhe, die ich empfand, mochten auch wohl die seltsamen Traume kommen, die mich ganz verstort haben.«
«Was traumtest Du denn?«fragte die Benzon.
«Mir war's«, sprach Julie weiter,»ich wandle in einem herrlichen Garten, in dem unter dichtem, dunklem Gebusch Nachtviolen und Rosen durcheinander bluhten, und ihr susses Aroma in die Lufte streuten. Ein wunderbarer Schimmer, wie Mondesglanz, ging auf in Ton und Gesang, und wie er die Baume, die Blumen mit goldnem Strahl beruhrte, bebten sie vor Entzucken, und die Busche sauselten und die Quellen flusterten in leisen, sehnsuchtigen Seufzern. Da gewahrte ich aber, dass ich selbst der Gesang sei, der durch den Garten ziehe, doch sowie der Glanz der Tone verbleiche, musse ich auch vergehen in schmerzlicher Wehmut! – Nun sprach aber eine sanfte Stimme: ›Nein! der Ton ist die Seligkeit und keine Vernichtung, und ich halte Dich fest mit starken Armen, und in Deinem Wesen ruht mein Gesang, der ist aber ewig wie die Sehnsucht!«– Es war Kreisler, der vor mir stand und diese Worte sprach. Ein himmlisches Gefuhl von Trost und Hoffnung ging durch mein Inneres, und selbst wusste ich nicht – ich sage Dir alles, Mutter! – ja selbst wusste ich nicht, wie es kam, dass ich Kreislern an die Brust sank. Da fuhlte ich plotzlich, wie mich eiserne Arme fest umschlangen, und eine entsetzliche, hohnende Stimme rief:»Was straubst Du Dich, Elende, Du bist ja schon getotet und musst nun mein sein.«– Es war der Prinz, der mich festhielt. – Mit einem lauten Angstgeschrei fuhr ich auf aus dem Schlafe, ich warf mein Nachtkleid uber, und lief an's Fenster, das ich offnete, da die Luft im Zimmer schwul und dunstig. In der Ferne gewahrte ich einen Mann, der mit einem Perspektiv nach den Fenstern des Schlosses schaute, dann aber die Allee hinabsprang auf seltsame, ich mochte sagen, narrische Weise, indem er von beiden Seiten allerlei Entrechats und andere Tanzerpas ausfuhrte, mit den Armen in den Luften herumfocht und, wie ich zu vernehmen glaubte, laut dazu sang. Ich erkannte Kreislern, und indem ich uber sein Beginnen herzlich lachen musste, kam er mir doch vor, wie der wohltatige Geist, der mich schutzen wurde vor dem Prinzen. Ja es war, als wurde mir jetzt erst Kreislers inneres Wesen recht klar, und ich sahe jetzt erst ein, wie sein schalkisch scheinender Humor, von dem mancher sich oft verwundet fuhle, aus dem treuesten, herrlichsten Gemute komme. Ich hatte hinablaufen in den Park, ich hatte Kreislern alle Angst des entsetzlichen Traums klagen mogen!«—
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