Mar?a. Deutsch
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Es war mir schon ein Bedurfnis, sie standig an meiner Seite zu haben, keinen Augenblick ihres Daseins zu verlieren, das meiner Liebe uberlassen war; und glucklich mit dem, was ich besass, und immer noch begierig nach Gluck, versuchte ich, aus dem vaterlichen Haus ein Paradies zu machen. Ich sprach mit Maria und meiner Schwester uber ihren Wunsch, unter meiner Leitung einige elementare Studien zu machen: sie waren wieder begeistert von dem Projekt, und es wurde beschlossen, dass es noch am selben Tag beginnen sollte.
Sie verwandelten eine Ecke des Wohnzimmers in einen Arbeitszimmerschrank; sie nahmen einige Landkarten aus meinem Zimmer heraus; sie entstaubten den geografischen Globus, der bis dahin unbeachtet auf dem Schreibtisch meines Vaters gelegen hatte; zwei Konsolen wurden von ihren Verzierungen befreit und zu Arbeitstischen umfunktioniert. Meine Mutter lachelte, als sie die ganze Unordnung sah, die unser Projekt mit sich brachte.
Wir trafen uns jeden Tag fur zwei Stunden, in denen ich ihr ein oder zwei Kapitel der Geographie erklarte, und wir lasen ein wenig Universalgeschichte und oft viele Seiten des Genius des Christentums. Dabei konnte ich das ganze Ausmass von Marias Intelligenz erkennen: Meine Satze pragten sich ihr unausloschlich ein, und ihr Verstandnis ging meinen Erklarungen fast immer mit kindlichem Triumph voraus.
Emma war von dem Geheimnis uberrascht und freute sich uber unser unschuldiges Gluck; wie hatte ich ihr bei diesen haufigen Gesprachen verheimlichen konnen, was in meinem Herzen vor sich ging? Sie muss meinen unbewegten Blick auf das bezaubernde Gesicht ihrer Gefahrtin bemerkt haben, als diese eine erbetenen Erklarung abgab. Sie hatte gesehen, wie Marias Hand zitterte, wenn ich sie auf einen vergeblich gesuchten Punkt auf der Karte legte. Und immer, wenn sich Maria, wahrend ich in der Nahe des Tisches sass und sie zu beiden Seiten meines Sitzes standen, buckte, um etwas in meinem Buch oder auf den Karten besser sehen zu konnen, storte ihr Atem, der uber mein Haar strich, ihre Strahnen, die ihr von den Schultern rollten, meine Erklarungen, und Emma konnte sehen, wie sie sich bescheiden aufrichtete.
Gelegentlich wurden meine Schuler auf die Hausarbeit aufmerksam gemacht, und meine Schwester machte sich daran, sie zu erledigen, um wenig spater zu uns zuruckzukehren. Dann klopfte mein Herz. Maria, mit ihrer kindlich ernsten Stirn und den fast lachenden Lippen, legte einige ihrer gerunzelten, aristokratischen Hande auf die meinen, die dafur gemacht waren, Stirnen wie die von Byron zu drucken; und ihr Akzent, der nicht aufhorte, die Musik zu haben, die ihr eigen war, wurde langsam und tief, wahrend sie sanft artikulierte Worte aussprach, an die ich mich heute vergeblich zu erinnern versuche; denn ich habe sie nicht wieder gehort, weil sie, von anderen Lippen ausgesprochen, nicht dasselbe sind, und auf diesen Seiten geschrieben wurden sie bedeutungslos erscheinen. Sie gehoren zu einer anderen Sprache, von der mir seit vielen Jahren kein einziger Satz mehr in Erinnerung geblieben ist.
Kapitel XIII
Die Seiten von Chateaubriand brachten langsam Farbe in Marias Fantasie. Sie war so christlich und glaubig, dass sie sich freute, die Schonheiten zu finden, die sie in der katholischen Verehrung vorausgesehen hatte. Ihre Seele nahm von der Palette, die ich ihr anbot, die kostbarsten Farben, um alles zu verschonern; und das poetische Feuer, ein Geschenk des Himmels, das Manner, die es besitzen, bewundernswert macht und Frauen, die es trotz ihrer selbst offenbaren, vergottlicht, verlieh ihrem Antlitz Reize, die mir im menschlichen Gesicht bisher unbekannt waren. Die Gedanken des Dichters, die in der Seele dieser in ihrer Unschuld so verfuhrerischen Frau aufgenommen wurden, kehrten zu mir zuruck wie das Echo einer fernen und vertrauten Harmonie, die das Herz beruhrt.
Eines Abends, ein Abend wie die meines Landes, geschmuckt mit violetten und blassgoldenen Wolken, schon wie Maria, schon und verganglich wie er fur mich war, sassen sie, meine Schwester und ich auf dem breiten Stein des Abhangs, von wo aus wir rechts im tiefen Tal die rauschenden Stromungen des Flusses rollen sehen konnten, und mit dem majestatischen und stillen Tal zu unseren Fussen las ich die Episode von Atala, und die beiden, bewundernswert in ihrer Unbeweglichkeit und Hingabe, horten von meinen Lippen all die Melancholie, die der Dichter gesammelt hatte, um "die Welt zum Weinen zu bringen". Meine Schwester, die ihren rechten Arm auf eine meiner Schultern gelegt hatte und deren Kopf fast mit dem meinen verbunden war, folgte mit ihren Augen den Zeilen, die ich las. Maria, die halb neben mir kniete, wandte ihren feuchten Blick nicht von meinem Gesicht ab.
Die Sonne war bereits untergegangen, als ich die letzten Seiten des Gedichts mit veranderter Stimme las. Emmas blasser Kopf ruhte auf meiner Schulter. Maria verbarg ihr Gesicht mit beiden Handen. Nachdem ich den herzzerreissenden Abschied von Chactas uber dem Grab seiner Geliebten gelesen hatte, einen Abschied, der mir so oft einen Schluchzer abgerungen hat: "Schlafe in Frieden in einem fremden Land, junger Unglucklicher! Als Lohn fur deine Liebe, deine Verbannung und deinen Tod bist du selbst von Chactas verlassen", Maria, die meine Stimme nicht mehr horte, entblosste ihr Gesicht, und dicke Tranen rollten uber ihr Gesicht. Sie war so schon wie die Schopfung des Dichters, und ich liebte sie mit der Liebe, die er sich vorgestellt hatte. Wir gingen langsam und schweigend zum Haus, und meine und Marias Seele waren nicht nur von der Lesung bewegt, sondern auch von einer Vorahnung uberwaltigt.
Kapitel XIV
Nach drei Tagen, als ich eines Abends vom Berg herunterkam, schien ich ein Erschrecken in den Gesichtern der Bediensteten zu bemerken, die ich in den inneren Gangen traf. Meine Schwester erzahlte mir, dass Maria einen Nervenanfall gehabt habe, und fugte hinzu, dass sie immer noch besinnungslos sei, und bemuhte sich, meine schmerzliche Beunruhigung so gut wie moglich zu lindern.
Alle Vorsicht vergessend, betrat ich das Schlafgemach, in dem sich Maria befand, und wahrend ich die Raserei beherrschte, die mich dazu gebracht hatte, sie an mein Herz zu drucken, um sie wieder zum Leben zu erwecken, naherte ich mich ihrem Bett in Verwirrung. Am Fussende des Bettes sass mein Vater: er warf mir einen seiner intensiven Blicke zu, dann wandte er ihn auf Maria und schien mich zur Rede stellen zu wollen, indem er sie mir zeigte. Meine Mutter war da; aber sie hob nicht den Blick, um mich zu suchen, denn sie kannte meine Liebe und hatte Mitleid mit mir, wie eine gute Mutter mit ihrem Kinde, wie eine gute Mutter mit ihrem eigenen Kinde in einer von ihrem Kinde geliebten Frau Mitleid hat.
Ich stand regungslos da und starrte sie an, ohne mich zu trauen, herauszufinden, was mit ihr los war. Sie war wie im Schlaf: Ihr Gesicht, das von einer todlichen Blasse bedeckt war, wurde halb von ihrem zerzausten Haar verdeckt, in dem die Blumen, die ich ihr am Morgen geschenkt hatte, zerknittert waren; ihre zusammengezogene Stirn verriet ein unertragliches Leiden, und ein leichter Schweiss befeuchtete ihre Schlafen; Tranen hatten versucht, aus ihren geschlossenen Augen zu fliessen, die an den Wimpern glitzerten.
Mein Vater, der mein ganzes Leid verstand, erhob sich, um sich zuruckzuziehen; doch bevor er ging, trat er an das Bett heran, fuhlte den Puls von Maria und sagte:
–Es ist alles vorbei. Armes Kind! Es ist genau das gleiche Ubel, unter dem auch ihre Mutter litt.
Marias Brust hob sich langsam, als wolle sie einen Schluchzer ausstossen, und als sie in ihren naturlichen Zustand zuruckkehrte, stiess sie nur einen Seufzer aus. Da mein Vater fort war, stellte ich mich an das Kopfende des Bettes, vergass meine Mutter und Emma, die schwiegen, nahm eine von Marias Handen vom Kissen und badete sie im Strom meiner bis dahin zuruckgehaltenen Tranen. Es war die gleiche Krankheit wie die ihrer Mutter, die sehr jung an einer unheilbaren Epilepsie gestorben war. Dieser Gedanke ergriff Besitz von meinem ganzen Wesen, um es zu brechen.
Ich spurte eine Bewegung in dieser tragen Hand, der mein Atem nicht die Warme zuruckgeben konnte. Maria begann bereits freier zu atmen, und ihre Lippen schienen darum zu ringen, ein Wort zu sprechen. Sie bewegte ihren Kopf von einer Seite zur anderen, als ob sie versuchte, eine erdruckende Last abzuwerfen. Nach einem Moment des Innehaltens stammelte sie unverstandliche Worte, aber schliesslich war mein Name deutlich darunter zu erkennen. Als ich so dastand und sie mit meinem Blick verschlang, druckte ich vielleicht meine Hande zu fest in ihre, vielleicht riefen meine Lippen nach ihr. Langsam offnete sie die Augen, als ware sie von einem intensiven Licht verwundet worden, und richtete sie auf mich, wobei sie sich bemuhte, mich zu erkennen. Einen Moment spater setzte sie sich halb auf: "Was ist los?", sagte sie und zog mich zur Seite; "Was ist mit mir geschehen?", fuhr sie fort und wandte sich an meine Mutter. Wir versuchten, sie zu beruhigen, und mit einem Akzent, in dem etwas Vorwurfsvolles lag, den ich mir damals nicht erklaren konnte, fugte sie hinzu: "Siehst du, ich hatte Angst.