Bitterschokolade (Горький шоколад)
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Eva schluchzte. Sie weinte laut, hemmungslos, V wollte nichts mehr verbergen, der Vater sollte es ruhig hцren, dieses Schwein!
Bankert: abwertende Bezeichnung fьr »uneheliches Kind»
»Kind«, sagte die Mutter, »Kind, Kind.« Was anderes fiel ihr auch nicht ein! Eva weinte noch lauter.
»Du musst versuchen, ihn zu verstehen«, sagte die Mutter. »Er ist halt so.«
»Immer soll ich ihn verstehen! Immer ich! Geh doch zu deinem geliebten Fritz! Geh nur. Du verstehst ihn ja so gut.«
Die Mutter sagte nichts mehr. Dann verlieЯ sie das Zimmer. Eva hцrte die Tьr klappen. Ihr lautes Weinen ging in ein rhythmisches Schluchzen
»ScheiЯe! ScheiЯe!«
Eva starrte aus dem Klassenfenster. Ihre Augen brannten. Sie fьhlte die Trдnen hinter ihren Augen, in den Hцhlen fьhlte sie den Druck der Trдnen. Sie erhob sich und ging zum Lehrertisch. »Kann ich bitte an die frische Luft gehen, mir ist schlecht.«
Frau Wittrock nickte. »Natьrlich, Eva.«
Eva ging wie auf Watte, aus dem Klassenzimmer hinaus, die Treppe hinunter zum Klo. Sie beugte sich tief ьber die Kloschьssel, stьtzte sich mit den Hдnden auf der Brille ab und erbrach den Kдse und die Sardinen in DillsoЯe, den Rest GrieЯauflauf und die beiden Frьchte Joghurts, die sie in der Nacht gegessen hatte, als sie verschwitzt und dreckig aufgewacht war, noch in Rock und Bluse, die ihr am feuchten Kцrper klebten. Sie erbrach, bis nur noch gelbliche, bittere Flьssigkeit kam. Sie lehnte sich an die Wand und wischte sich die SchweiЯtropfen aus dem Gesicht und die Trдnen.
Franzlska fьhrte sie zum Waschbecken und drehte den Wasserhahn auf. »Frau Wittrock hat gesagt, dass ich mit dir gehen kцnnte.«
Eva hielt ihr Gesicht unter das kalte Wasser, lieЯ es ьber die heiЯen Augen laufen und spьlte sich den
Mund aus. Es ging ihr viel besser. »Ich muss etwas Falsches gegessen haben«, sagte sie. »letzt ist es vorbei.«
Franziska nahm ein Papierhandtuch, machte es nass und bьckte sich. »Du hast ein paar Flecken am Rock.«
Dann saЯen sie unter einem Baum und tranken Tee aus Pappbechern, den Franziska aus dem Automaten geholt hatte.
»Wie lange darfst du abends wegbleiben?«, fragte Eva.
»Kommt drauf an. Eigentlich solange ich will.«
»Mein Vater hat mir gestern eine Ohrfeige gegeben, weil ich um halb zehn nach Hause gekommen bin.«
»Halb zehn ist doch nicht so spдt.«
»Ich hatte nicht gesagt, dass ich spдter komme.«
»Na ja«, sagte Franziska, »wenn ich spдter komme, muss ich auch anrufen.« Und dann fragte sie: »Schlдgt dich dein Vater oft?«
»Nein«, antwortete Eva. »Das letzte Mal hat er mir eine runtergehauen, als ich gesagt habe, die Oma sei eine alte Hexe.«
»Ist sie das?«
Eva schьttelte den Kopf. »Das nicht. Aber dumm ist sie.«
»Meine Eltern haben mich noch nie geschlagen«, sagte Franziska. »Auch nicht, als ich klein war.«
»Frьher, als Kind, habe ich
цfter eine Ohrfeige bekommen. Aber nur von meinem Vater. Und mein Bruder kriegt auch heute noch oft etwas ab.«»Und deine Mutter? Was sagt die dazu?«
Eva lachte.
»Sie leidet mit uns. Fьr jede Ohrfeige gibt es mindestens eine heimliche Tafel Schokolade.«
»Gehst du oft weg abends?«
»Nein, ich war gestern das erste Mal tanzen. Und du?«
»Ich auch nicht. Ich kenne immer noch kaum Leute hier.«
Eva verzog das Gesicht. »Ich bin hier geboren und kenne trotzdem kaum jemanden.« Dann stand sie auf und klopfte sich den Staub aus dem Rock. »Sehe ich wieder ordentlich aus?«
»Ja«, antwortete Franziska. »Deine Haare sind viel schцner, wenn sie offen sind. Du hast wirklich tolle Haare.«
Eva schaute schnell zur Seite. »Komm, gehen wir wieder rauf.«
Eva lernte gerade: affligere, affligo, afflixi, afflictum, als Berthold ihre Tьr цffnete. »Der Papa ist am Telefon«, sagte er. »Fьr dich.«
Eva ging ins Wohnzimmer und nahm den Hцrer.
»Eva?«, fragte der Vater.
»Ja.«
»Ich bin zu der Telefonzelle an der Ecke gegangen, weil ich mit dir sprechen wollte.«
»Ja«, sagte Eva.
»Ich hatte gestern wirklich Angst, dass dir etwas passiert ist.«
Eva schwieg. Aus der Kьche drang das Klappern von Geschirr.
»Eva«, sagte der Vater. »Die Ohrfeige gestern, die hдtte ich dir nicht geben sollen.«
Eva presste den Hцrer fest an ihr Ohr. »Ich hдtte ja auch anrufen kцnnen«, sagte sie.
»Ja, hдttest du.«
»Aber das ging nicht. Ich war in einer Diskothek tanzen. Das erste Mal.«
»War es schцn?«
»Ja. Sehr.«
»Ich muss zurьck ins Bьro«, sagte der Vater. »Also, das nдchste Mal rufst du an, ja? Bis spдter.«
»Bis spдter, Papa.«
Eva ging in die Kьche. »Mama, soll ich fьr dich einkaufen gehen?«
Sie musste ьber das erstaunte Gesicht der Mutter lachen. Und sie lachte auch noch, als sie den schweren Einkaufskorb nach Hause trug. Sie fьhlte sich so leicht, so schwebend, sie wurde nur durch das Gewicht der Kartoffeln, der Дpfel und des Mehls auf der Erde gehalten. »So schlimm ist er nicht, mein Vater. Das soll ihm erst mal einer nachmachen, extra zur Telefonzelle gehen und anrufen!«
Sie beschloss, abends von dem Sommerfest im Freizeitheim zu erzдhlen. Sie wollte unbedingt hingehen.
Vielleicht wьrde er es erlauben, heute, wo er so sanft war.
Eva hatte zum Abendessen fast nichts gegessen vor Aufregung. Der Vater war zwar sehr freundlich gewesen, als er von der Arbeit gekommen war, hatte seinen Rundgang, den Kontrollgang, schnell und ohne v Meckern hinter sich gebracht, aber man konnte nie wissen!
»Bis zehn geht es am Samstag im Freizeitheim«, sagte Eva. »Und dann muss ich noch heimfahren. Vor elf kann ich nicht zurьck sein.«
»Kommt nicht in Frage, dass du so spдt allein durch die Gegend fдhrst.«