Bitterschokolade (Горький шоколад)
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Er kommt sicher nicht, dachte sie. Warum sollte er auch kommen? Er kann ganz andere Mдdchen haben, schlanke, schцne. Sie pflьckte ein Gдnseblьmchen und drehte es langsam zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her.
Warum warte ich? Ich weiЯ doch, dass er nicht kommt. Auf Karola habe ich auch so gewartet, damals, und ich stand an der StraЯenecke, fast eine Stunde, bis ich dann heimging. Und am nдchsten Tag war Karola ьberrascht, hatte es einfach vergessen, nur so. Tut mir Leid, Eva, bei uns war plцtzlich so ein Trubel. Meine Tante ist gekommen, ja, die. Du weiЯt schon.
Und Eva hatte gewusst, verstanden, genickt, gelдchelt.
Michel war immer noch nicht da. Natьrlich nicht. Er wьrde nicht kommen. Nach einer Stunde wьrde Eva traurig und enttдuscht nach Hause gehen, wьrde sich auf ihr Bett legen und weinen. Dann wьrde sie sich das Gesicht mit kaltem Wasser waschen, vielleicht ein Stьck Schokolade essen und lдcheln.
Schon viel frьher hatte sie sich Schokolade in den Mund gesteckt und gelдchelt. Komisch, dass ihr das jetzt einfiel. Das war gewesen, als Erika weggezogen war, Erika, die Freundin, mit der sie schon zusammen im Kindergarten gewesen war. In der zweiten Klasse waren sie gewesen, als Erikas Eltern wegzogen und ihr Erika wegnahmen. Die Mutter hatte Eva in den Arm genommen und ihr eine Tafel Schokolade gegeben.
tem ein bisschen versьЯen kцnnte.« Eva hatte gelдchelt.
Und nie hatte sie Erikas Briefe beantwortet.
Sie zupfte dem kleinen Gдnseblьmchen ein Blьtenblatt aus: Er liebt mich, ein zweites: von Herzen, ein drittes: mit Schmerzen, ein viertes: ein wenig, ein fьnftes: nein, gar nicht. Es war nicht leicht, dem kleinen Gдnseblьmchen die noch kleineren Blьtenblдtter wirklich einzeln auszureiЯen. Als Eva schon ьber die Hдlfte war, er liebt mich, von Herzen, mit Schmerzen, ein wenig, nein, gar nicht, versuchte sie, mit den Augen die weiЯen Blдttchen abzutasten, herauszufinden, wie es enden wьrde. Das Gдnseblьmchen sah sehr nackt aus, sehr zerrupft. Wьtend warf Eva es ins Gras.
Wie lange saЯ sie schon da? Sie hatte keine Uhr. Der Rasen war ausgedorrt, trocken, graugrьne Grasbьschel, kurzstoppelig gemдht, nur ab und zu ein winziges Gдnseblьmchen.
»Hallo, Eva.«
»Hallo, Michel.«
»Ich komme zu spдt.«
»Ja.«
»Ich dachte, du wьrdest mich sowieso versetzen.«
»Wieso sollte ich das?«
»Ich weiЯ nicht. Halt so.«
Er trug dasselbe Hemd wie gestern, schwarz, die Zipfel waren so zusammengeknotet, dass man einen Streifen seines braunen Bauches sehen konnte. Er setzte sich neben sie. »Wo hast du dein Schwimmzeug?«
»Ich mag nicht ins Schwimmbad gehen.«
»Das ist gut. Ich habe nдmlich immer noch kein Geld.«
Er sah mьrrisch aus, schlecht gelaunt.
»Ist was?«, fragte sie.
»Was soll sein?« Er zupfte Grashalme aus, riss sie in kleine Stьckchen, graugrьne, staubige Halme. Er hielt den Kopf gesenkt und schaute auf seine rupfenden Finger, seine braunen, langen Haare fielen nach vorn, verdeckten sein Gesicht, so dass Eva nur noch seine Nasenspitze sehen konnte. Die Worte saЯen ihr im Hals, all die lockeren, lustigen Worte, die sie hatte sagen wollen, die Witze, die sie gern gemacht hдtte, das Lachen, das sie gern gelacht hдtte, alles war ihr im Hals stecken geblieben, ballte sich zu einem dicken KloЯ und lieЯ sie schwer atmen. Es war so still. Sie bemьhte sich, leise tief durchzuatmen, sie wollte nicht keuchen wie ein Walross. Keuchten Walrosse ьberhaupt?
Warum sagte er nichts? Warum sagte sie nichts? War es das, auf das sie gewartet hatte?
Plцtzlich sprang Michel auf. »Komm, wir gehen zum Fluss. Wir nehmen die StraЯenbahn, dann geht's ganz schnell.«
Endhaltestelle der Linie sieben. Sie waren schwarzgefahren. Michel hatte kein Geld, er hatte auch nicht gewollt, dass Eva eine Karte kaufte.
»Schade um das schцne Geld. Dafьr kriegen wir eine Cola.«Sie liefen durch die Stadtrandsiedlung, ein Haus wie das andere, lange Reihen gleicher Hдuser, gleicher Gдrten, gleicher Zдune. »Wenn da einer blau nach Hause kommt, findet er seine eigene Tьr nicht mehr und landet bei der Nachbarin im Schlafzimmer«, sagte Michel und lachte.
Eva, unsicher, betroffen, lachte mit.
»Stell dir vor, bei der Nachbarin im Schlafzimmer! Und morgens merkt er erst, dass er nicht mit seiner Alten gepennt hat.« Michels Lachen klang falsch. Sie gingen schweigend weiter, an einem unkrautьberwucherten Platz vorbei, Mьllabladen-verboten-Schild ьber zerbrochenen Bierflaschen und leeren Цlsardi-nendosen. Zerbeulte Konservenbьchsen, ein alter Gummistiefel. Gelb.
Den Hang hinunter ging Michel vor. Breitbeinig, den linken Arm ausgestreckt, stьtzte er Eva, die keinen Halt fand mit ihren glatten Sandalen, sich nicht richtig bewegen konnte in ihrem engen, blauen Rock, der nicht mehr sehr blau war, und die unbeholfen, unglьcklich ьber ihre eigene Ungeschicklichkeit, hinter Michel den Hang hinunterrutschte. Dann waren sie endlich unten am Fluss. Es war nicht eigentlich der Fluss, es war ein kleiner Seitenarm, seichter Wasserlauf zwischen Unkraut, an einer Stelle Holunderbьsche, die weiЯen Blьtendolden verbreiteten einen scharfen Geruch. Eva, atemlos von der Anstrengung, keuchte laut. Wie ein Walross, dachte sie. Nun keuche ich doch wie ein Walross.
Michel schaute sie vorsichtig an. »Gefдllt es dir hier?«
Gefallen? Im Unkraut? Am Kieshang mit diesen spдrlichen, mageren Hecken?
»Ginster«, sagte Eva. »Ich mag Ginster sehr gern.«
»Ich habe frьher mal in dieser Gegend gewohnt. Mein Bruder und ich haben hier manchmal ein Nachbarmдdchen hergeschleppt.« Er wurde rot. »Zum Doktorspielen.«
Michel zog seine Turnschuhe aus und krempelte die Jeans bis zu den Knien. »Komm«, sagte er. »Gehn wir ein bisschen ins Wasser. Es ist nicht tief.«
Eva bьckte sich. Ihr Rock war ganz schцn dreckig. Warum waren sie nicht ins Gartencafe gegangen? Sie hatte ja Geld. Oder wirklich an den Fluss, da, wo man in den Anlagen spazieren gehen konnte?
Das Wasser war kalt und gar nicht so schmutzig.
»Zieh doch deinen Rock aus, dann kannst du besser laufen«, sagte Michel. Eva schьttelte wild den Kopf, zerrte den Rock ein bisschen hцher, nicht viel, nur ein bisschen ьber die Knie.
»Hier ist doch niemand«, rief Michel. Er stand am Rand, zog seine Jeans und das Hemd aus. Er trug eine Badehose darunter, schwarz wie sein Hemd.
Niemand? Hier ist niemand?, dachte Eva. Glaubt er im Ernst, ich wьrde hier in Unterhosen rumlaufen? Wenn er dabei ist? Wenn ich doch wenigstens die schwarze Trikothose anhдtte! Aber die weiЯe mit den rosa Blьmchen, unmцglich!
Michel saЯ am Rand und buddelte mit den Hдnden ein Loch. »So haben wir das frьher immer gemacht. Schau! Das wird der Ozean.« Mit dem Finger zog er eine Rinne vom Wasserrand zu der Vertiefung. »Und das hier ist ein Fluss. Der fьllt jetzt das Meer.«
Eva hдufte Erde an das Ufer. »Und das ist ein Berg.« Sie pflьckte Grдser und Zweige und steckte sie in den Berg. »Bдume.«
Michel lachte. Er begann, mit flachen Kieselsteinen einen Weg anzulegen, einen gewundenen Weg den Berg hinauf. »Und oben, ganz oben, mьsste ein Haus stehen. Dann kцnnte man abends den Mond ьber dem Meer sehen. Hast du das schon mal gesehen?«
»Ja«, antwortete Eva. »Wir waren vor zwei Jahren in Italien. In Grado.«
»Ich war schon dreimal in den groЯen Ferien bei meinem Onkel in Hamburg. Er ist mein Patenonkel.«
Sie schwiegen beide. Michel baute auch noch das Steinhaus.
Wie Dampfnudeln sehen meine Knie aus, dachte Eva. Michel hat schцne Beine. Richtig schцne, braune Beine.