Bitterschokolade (Горький шоколад)
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Eva zцgerte. »Ich habe noch nie getanzt. AuЯer mit meinem Vater Walzer.«
An Neujahr war das gewesen. Vater hatte Sekt getrunken und war sehr lustig gewesen. Aus dem Radio klang laute Tanzmusik.
Plцtzlich rдumte Vater die Sessel und den Tisch zur
Seite, ganz aufgekratzt war er, und stellte das Radio noch lauter.
»Komm, Mama, jetzt zeigen wir mal den Kindern, wie man Walzer tanzt.«
Die Mutter wehrte ab. »Ach nein, Fritz. Wir haben schon so lange nicht mehr getanzt.«
»Los«, sagte der Vater und zog die widerstrebende Mutter aus dem Sessel. »Los, Marianne. Keine Mьdigkeit vorschьtzen.«
Und dann tanzten sie und der Vater sang laut mit.
Sie tanzten Tango und Walzer, Cha-Cha-Cha und Foxtrott, so lange, bis die Mutter rote Backen bekam.
»Eva, jetzt bist du dran«, sagte der Vater, als die Mutter sich schwer atmend in einen Sessel fallen lieЯ.
»Ich kann doch nicht tanzen«, antwortete Eva.
»Dann wird es Zeit, dass du es lernst.«
Eva war plцtzlich sehr aufgeregt. Sie bewunderte den Vater, der seinen schweren Kцrper so gewandt und sicher bewegte. Er sah anders aus als sonst. Jьnger.
»Euer Vater hat frьher einmal den ersten Preis bei einem groЯen Tanzwettbewerb gewonnen. Das war damals, als wir uns kennen gelernt haben.«
Eva sah ihren Vater ьberrascht an. »Wirklich?«
Sie fьhlte sich tцlpelhaft und ungeschickt, kam aus dem Takt und trat ihrem Vater auf die FьЯe.
»Nicht so, Eva. Du darfst nicht an deine Beine denken. Achte nur auf
den Takt und lass dich fьhren.
Hцrst du? Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei.«
Und dann war es wirklich ganz leicht. Eva drehte sich und drehte sich, lieЯ sich in die Musik und in Vaters Arm fallen und fьhlte sich leicht und glьcklich.
»Das machst du prima, Eva. Wirklich! Mama, wir mьssen bald mal mit unserer groЯen Tochter tanzen gehen.«
Mama nickte gerьhrt. Berthold war ьber seinem Mickymausheft eingeschlafen.
»Mit meinem Vater habe ich getanzt«, sagte Eva und sah Michel wieder an. »Er hat frьher mal den ersten Preis bei einem Tanzwettbewerb gewonnen.«
»Wirklich?«
»Ja, das war damals, als er meine Mutter kennen lernte.«
Michel sah sie zweifelnd an. »Aber in einer Disko tanzt man keinen Walzer.«
Eva lachte. »Das weiЯ ich. Ich habe das schon oft im Fernsehen gesehen.« Sie dachte an die heimlichen Tanzversuche in ihrem Zimmer. So schwer konnte das doch nicht sein.
In der Diskothek war es sehr voll. Eva wдre am liebsten wieder hinausgegangen, als sie all die schlanken, schцnen Mдdchen sah. Na ja, nicht alle waren so schlank. Es waren auch ein paar Dicke dabei. Eine stand mit einer Colaflasche in der Hand da, mitten zwischen anderen Jungen und Mдdchen, und lachte.
Eva sah sie von der Seite an. Sie lachte wirklich, so, als wдre sie wie die anderen. Und dabei war sie wirklich dick. Nicht so dick, nicht ganz so dick wie Eva, aber immerhin! Und auЯerdem trug sie noch eine Brille.
Michel zog Eva an der Hand hinter sich her zu einem Tisch in der Ecke. Eva stellte ihre Tasche hin und wollte sich setzen. »Nein«, sagte Michel. »Jetzt sind wir schon mal da, jetzt tanzen wir auch.«
Er musste sehr laut reden, damit sie ihn ьberhaupt verstand. Die Tanzflдche war voll, aber Michel drдngte sich einfach dazu und fing an, sich zu bewegen, erst langsam, dann schneller.
Er kann tanzen, dachte Eva, und ihre Knie wurden weich. Ihr wurde schwindelig. Was hatte der Vater gesagt?
»Nicht so, Eva. Du darfst nicht an deine Beine denken. Hцr auf den Takt und lass dich fьhren.« Aber hier gab es niemand, der sie fьhrte.Sie machte es wie Michel. Erst langsam, in den Hьften bewegen, wie war bloЯ der Takt, dann trat sie von einem FuЯ auf den anderen. Wie ein kleines Mдdchen, das dringend mal muss, dachte sie und lдchelte. Michel lдchelte auch. Michel, dachte sie, Michel.
Er nahm ihre Hand und schwang sie unauffдllig im Takt hin und her. Und dann war es plцtzlich wieder da, dieses Gefьhl wie an Neujahr, nur noch viel schцner. Eva lachte und schьttelte ihre Haare, die langen, offenen Haare, und sie vergaЯ ihren Elefantenkцrper und tanzte.
Irgendwann zog Michel sie von der Tanzflдche und fьhrte sie zu ihrem Stuhl. »Gib mir Geld«, sagte er. »Ich hole eine Cola.«
»Ich mцchte lieber ein Selterswasser.«
Michel nickte. Er kam zurьck und stellte ein Glas Ьberkinger vor sie auf den Tisch. Dann setzte er sich ganz dicht neben sie und legte den Arm um ihre Hьfte. Ich bin verschwitzt, dachte Eva. Ganz nass geschwitzt bin ich. Hoffentlich stinke ich nicht. Sie schob ihn weg.
»Mensch, Eva«, sagte Michel hingerissen. »Du tanzt wirklich ganz toll. Hдtte ich nicht gedacht. Kommst du am Samstag mit mir ins Freizeitheim? Wir haben ein Sommerfest.«
Eva nickte. Papa, dachte sie. Ach, Papa.
Die Bluse klebte an ihrem Kцrper. Und weil es schon ganz egal war, stand sie auf und zog Michel zur Tanzflдche.
»Ich will noch«, sagte sie. Er nickte. Es war schon acht, als sie auf die Uhr sah.
Sie schloss leise die Tьr auf. Aus dem Wohnzimmer drang das Gerдusch des Fernsehers. Halb zehn vorbei. Da ging die Wohnzimmertьr auf. Der Vater betrachtete sie von oben bis unten, machte zwei Schritte auf sie zu und holte aus. Eva starrte ihn an. Die Ohrfeige brannte auf ihrer Haut.
»Aber Fritz«, sagte die Mutter hilflos, bцse. »Warum
soll sie nicht mal lдnger wegbleiben? Sie ist doch schon fьnfzehn.«
»Ich will nicht, dass meine Tochter sich mmtreibt.«
»Aber das heiЯt doch nicht rumtreiben, wenn sie mal bis halb zehn wegbleibt. Wann soll sie denn ihre Jugend genieЯen, wenn nicht jetzt?« Eva hцrte die Ver-bitterung in der Stimme der Mutter.
»So fдngt es an«, schrie der Vater. »Schau sie dir doch an, wie sie aussieht! Schicken wir sie deshalb auf die Schule, dass sie mit einem Bankert daherkommt?«
Eva ging wortlos in ihr Zimmer und schloss mit ei-nem lauten Knall die Tьr hinter sich. Sie lieЯ sich auf das Bett fallen, auf das weiche, sichere Bett, das Ver-sprechen von Wдrme und Zuflucht, und weinte. »Du Schwein«, sagte sie laut. »Du gemeines Schwein. Nichts weiЯt du. Nur an so etwas kannst du denken.«
Die Mutter kam herein und setzte sich zu ihr auf den Bettrand. Hilflos streichelte sie Evas Rьcken.
»Kind, er meint das nicht so, wirklich nicht. Er hat sich solche Sorgen gemacht um dich. Sogar bei der Po-lizei hat er schon angerufen, ob irgendwo ein Unfall gemeldet worden ist.«