1915 Кары (сборник)
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Aber die Schwester war leider anderer Meinung; sie hatte sich, allerdings nicht ganz unberechtigt, angew"ohnt, bei Besprechung der Angelegenheiten Gregors als besonders Sachverst"andige gegen"uber den Eltern aufzutreten, und so war auch jetzt der Rat der Mutter f"ur die Schwester Grund genug, auf der Entfernung nicht nur des Kastens und des Schreibtisches, an die sie zuerst allein gedacht hatte, sondern auf der Entfernung s"amtlicher M"obel, mit Ausnahme des unentbehrlichen Kanapees, zu bestehen. Es war nat"urlich nicht nur kindlicher Trotz und das in der letzten Zeit so unerwartet und schwer erworbene Selbstvertrauen, das sie zu dieser Forderung bestimmte; sie hatte doch auch tats"achlich beobachtet, dass Gregor viel Raum zum Kriechen brauchte, dagegen die M"obel, soweit man sehen konnte, nicht im geringsten ben"utzte. Vielleicht aber spielte auch der schw"armerische Sinn der M"adchen ihres Alters mit, der bei jeder Gelegenheit seine Befriedigung sucht, und durch den Grete jetzt sich dazu verlocken liess, die Lage Gregors noch schreckenerregender machen zu wollen, um dann noch mehr als bis jetzt f"ur ihn leisten zu k"onnen. Denn in einen Raum, in dem Gregor ganz allein die leeren W"ande beherrschte, w"urde wohl kein Mensch ausser Grete jemals einzutreten sich getrauen.
Und so liess sie sich von ihrem Entschlusse durch die Mutter nicht abbringen, die auch in diesem Zimmer vor lauter Unruhe unsicher schien, bald verstummte und der Schwester nach Kr"aften beim Hinausschaffen des Kastens half. Nun, den Kasten konnte Gregor im Notfall noch entbehren, aber schon der Schreibtisch musste bleiben. Und kaum hatten die Frauen mit dem Kasten, an den sie sich "achzend dr"uckten, das Zimmer verlassen, als Gregor den Kopf unter dem Kanapee hervorstiess, um zu sehen, wie er vorsichtig und m"oglichst r"ucksichtsvoll eingreifen k"onnte. Aber zum Ungl"uck war es gerade die Mutter, welche zuerst zur"uckkehrte, w"ahrend Grete im Nebenzimmer den Kasten umfangen hielt und ihn allein hin und her schwang, ohne ihn nat"urlich von der Stelle zu bringen. Die Mutter aber war Gregors Anblick nicht gew"ohnt, er h"atte sie krank machen k"onnen, und so eilte Gregor erschrocken im R"uckw"artslauf bis an das andere Ende des Kanapees, konnte es aber nicht mehr verhindern, dass das Leintuch vorne ein wenig sich bewegte. Das gen"ugte, um die Mutter aufmerksam zu machen. Sie stockte, stand einen Augenblick still und ging dann zu Grete zur"uck.
Trotzdem sich Gregor immer wieder sagte, dass ja nichts Aussergew"ohnliches geschehe, sondern nur ein paar M"obel umgestellt w"urden, wirkte doch, wie er sich bald eingestehen musste, dieses Hin- und Hergehen der Frauen, ihre kleinen Zurufe, das Kratzen der M"obel auf dem Boden, wie ein grosser, von allen Seiten gen"ahrter Trubel auf ihn, und er musste sich, so fest er Kopf und Beine an sich zog und den Leib bis an den Boden dr"uckte, unweigerlich sagen, dass er das Ganze nicht lange aushalten werde. Sie r"aumten ihm sein Zimmer aus; nahmen ihm alles, was ihm lieb war; den Kasten, in dem die Laubs"age und andere Werkzeuge lagen, hatten sie schon hinausgetragen; lockerten jetzt den schon im Boden fest eingegrabenen Schreibtisch, an dem er als Handelsakademiker, als B"urgersch"uler, ja sogar schon als Volkssch"uler seine Aufgaben geschrieben hatte, – da hatte er wirklich keine Zeit mehr, die guten Absichten zu pr"ufen, welche die zwei Frauen hatten, deren Existenz er "ubrigens fast vergessen hatte, denn vor Ersch"opfung arbeiteten sie schon stumm, und man h"orte nur das schwere Tappen ihrer F"usse.
Und so brach er denn hervor – die Frauen st"utzten sich gerade im Nebenzimmer an den Schreibtisch, um ein wenig zu verschnaufen –, wechselte viermal die Richtung des Laufes, er wusste wirklich nicht, was er zuerst retten sollte, da sah er an der im "ubrigen schon leeren Wand auffallend das Bild der in lauter Pelzwerk gekleideten Dame h"angen, kroch eilends hinauf und presste sich an das Glas, das ihn festhielt und seinem heissen Bauch wohltat. Dieses Bild wenigstens, das Gregor jetzt ganz verdeckte, w"urde nun gewiss niemand wegnehmen. Er verdrehte den Kopf nach der T"ur des Wohnzimmers, um die Frauen bei ihrer R"uckkehr zu beobachten.
Sie hatten sich nicht viel Ruhe geg"onnt und kamen schon wieder; Grete hatte den Arm um die Mutter gelegt und trug sie fast. "Also was nehmen wir jetzt?" sagte Grete und sah sich um. Da kreuzten sich ihre Blicke mit denen Gregors an der Wand. Wohl nur infolge der Gegenwart der Mutter behielt sie ihre Fassung, beugte ihr Gesicht zur Mutter, um diese vom Herumschauen abzuhalten, und sagte, allerdings zitternd und un"uberlegt: "Komm, wollen wir nicht lieber auf einen Augenblick noch ins Wohnzimmer zur"uckgehen?" Die Absicht Gretes war f"ur Gregor klar, sie wollte die Mutter in Sicherheit bringen und dann ihn von der Wand hinunterjagen. Nun, sie konnte es ja immerhin versuchen! Er sass auf seinem Bild und gab es nicht her. Lieber w"urde er Grete ins Gesicht springen.
Aber Gretes Worte hatten die Mutter erst recht beunruhigt, sie trat zur Seite, erblickte den riesigen braunen Fleck auf der gebl"umten Tapete, rief, ehe ihr eigentlich zum Bewusstsein kam, dass das Gregor war, was sie sah, mit schreiender, rauher Stimme: "Ach Gott, ach Gott! " und fiel mit ausgebreiteten Armen, als gebe sie alles auf, "uber das Kanapee hin und r"uhrte sich nicht. "Du, Gregor! " rief die Schwester mit erhobener Faust und eindringlichen Blicken. Es waren seit der Verwandlung die ersten Worte, die sie unmittelbar an ihn gerichtet hatte. Sie lief ins Nebenzimmer, um irgendeine Essenz zu holen, mit der sie die Mutter aus ihrer Ohnmacht wecken k"onnte; Gregor wollte auch helfen – zur Rettung des Bildes war noch Zeit –; er klebte aber fest an dem Glas und musste sich mit Gewalt losreissen; er lief dann auch ins Nebenzimmer, als k"onne er der Schwester irgendeinen Rat geben, wie in fr"uherer Zeit; musste dann aber unt"atig hinter ihr stehen, w"ahrend sie in verschiedenen Fl"aschchen kramte; erschreckte sie noch, als sie sich umdrehte; eine Flasche fiel auf den Boden und zerbrach; ein Splitter verletzte Gregor im Gesicht, irgendeine "atzende Medizin umfloss ihn; Grete nahm nun, ohne sich l"anger aufzuhalten, soviel Fl"aschchen, als sie nur halten konnte, und rannte mit ihnen zur Mutter hinein; die T"ur schlug sie mit dem Fusse zu. Gregor war nun von der Mutter abgeschlossen, die durch seine Schuld vielleicht dem Tode nahe war; die T"ur durfte er nicht "offnen, wollte er die Schwester, die bei der Mutter bleiben musste, nicht verjagen; er hatte jetzt nichts zu tun, als zu warten; und von Selbstvorw"urfen und Besorgnis bedr"angt, begann er zu kriechen, "uberkroch alles, W"ande, M"obel und Zimmerdecke und fiel endlich in seiner Verzweiflung, als sich das ganze Zimmer schon um ihn zu drehen anfing, mitten auf den grossen Tisch.
Es verging eine kleine Weile, Gregor lag matt da, ringsherum war es still, vielleicht war das ein gutes Zeichen. Da l"autete es. Das M"adchen war nat"urlich in ihrer K"uche eingesperrt und Grete musste daher "offnen gehen. Der Vater war gekommen. "Was ist geschehen" waren seine ersten Worte; Gretes Aussehen hatte ihm wohl alles verraten. Grete antwortete mit dumpfer Stimme, offenbar dr"uckte sie ihr Gesicht an des Vaters Brust: "Die Mutter war ohnm"achtig, aber es geht ihr schon besser. Gregor ist ausgebrochen. " "Ich habe es ja erwartet", sagte der Vater, "ich habe es euch ja immer gesagt, aber ihr Frauen wollt nicht h"oren." Gregor war es klar, dass der Vater Gretes allzukurze Mitteilung schlecht gedeutet hatte und annahm, dass Gregor sich irgendeine Gewalttat habe zuschulden kommen lassen. Deshalb musste Gregor den Vater jetzt zu bes"anftigen suchen, denn ihn aufzukl"aren hatte er weder Zeit noch M"oglichkeit. Und so fl"uchtete er sich zur T"ur seines Zimmers und dr"uckte sich an sie, damit der Vater beim Eintritt vom Vorzimmer her gleich sehen k"onne, dass Gregor die beste Absicht habe, sofort in sein Zimmer zur"uckzukehren, und dass es nicht n"otig sei, ihn zur"uckzutreiben, sondern dass man nur die T"ur zu "offnen brauche, und gleich werde er verschwinden.
Aber der Vater war nicht in der Stimmung, solche Feinheiten zu bemerken; "Ah! " rief er gleich beim Eintritt in einem Tone, als sei er gleichzeitig w"utend und froh. Gregor zog den Kopf von der T"ur zur"uck und hob ihn gegen den Vater. So hatte er sich den Vater wirklich nicht vorgestellt, wie er jetzt dastand; allerdings hatte er in der letzten Zeit "uber dem neuartigen Herumkriechen vers"aumt, sich so wie fr"uher um die Vorg"ange in der "ubrigen Wohnung zu k"ummern, und h"atte eigentlich darauf gefasst sein m"ussen, ver"anderte Verh"altnisse anzutreffen. Trotzdem, trotzdem, war das noch der Vater? Der gleiche Mann, der m"ude im Bett vergraben lag, wenn fr"uher Gregor zu einer Gesch"aftsreise ausger"uckt war; der ihn an Abenden der Heimkehr im Schlafrock im Lehnstuhl empfangen hatte; gar nicht recht imstande war, aufzustehen, sondern zum Zeichen der Freude nur die Arme gehoben hatte, und der bei den seltenen gemeinsamen Spazierg"angen an ein paar Sonntagen im Jahr und an den h"ochsten Feiertagen zwischen Gregor und der Mutter, die schon an und f"ur sich langsam gingen, immer noch ein wenig langsamer, in seinen alten Mantel eingepackt, mit stets vorsichtig aufgesetztem Kr"uckstock sich vorw"arts arbeitete und, wenn er etwas sagen wollte, fast immer stillstand und seine Begleitung um sich versammelte? Nun aber war er recht gut aufgerichtet; in eine straffe blaue Uniform mit Goldkn"opfen gekleidet, wie sie Diener der Bankinstitute tragen; "uber dem hohen steifen Kragen des Rockes entwickelte sich sein starkes Doppelkinn; unter den buschigen Augenbrauen drang der Blick der schwarzen Augen frisch und aufmerksam hervor; das sonst zerzauste weisse Haar war zu einer peinlich genauen, leuchtenden Scheitelfrisur niedergek"ammt. Er warf seine M"utze, auf der ein Goldmonogramm, wahrscheinlich das einer Bank, angebracht war, "uber das ganze Zimmer im Bogen auf das Kanapee hin und ging, die Enden seines langen Uniformrockes zur"uckgeschlagen, die H"ande in den Hosentaschen, mit verbissenem Gesicht auf Gregor zu. Er wusste wohl selbst nicht, was er vor hatte; immerhin hob er die F"usse ungew"ohnlich hoch, und Gregor staunte "uber die Riesengr"osse seiner Stiefelsohlen. Doch hielt er sich dabei nicht auf, er wusste ja noch vom ersten Tage seines neuen Lebens her, dass der Vater ihm gegen"uber nur die gr"osste Strenge f"ur angebracht ansah. Und so lief er vor dem Vater her, stockte, wenn der Vater stehen blieb, und eilte schon wieder vorw"arts, wenn sich der Vater nur r"uhrte. So machten sie mehrmals die Runde um das Zimmer, ohne dass sich etwas Entscheidendes ereignete, ja ohne dass das Ganze infolge seines langsamen Tempos den Anschein einer Verfolgung gehabt h"atte. Deshalb blieb auch Gregor vorl"aufig auf dem Fussboden, zumal er f"urchtete, der Vater k"onnte eine Flucht auf die W"ande oder den Plafond f"ur besondere Bosheit halten. Allerdings musste sich Gregor sagen, dass er sogar dieses Laufen nicht lange aushalten w"urde, denn w"ahrend der Vater einen Schritt machte, musste er eine Unzahl von Bewegungen ausf"uhren. Atemnot begann sich schon bemerkbar zu machen, wie er ja auch in seiner fr"uheren Zeit keine ganz vertrauensw"urdige Lunge besessen hatte. Als er nun so dahintorkelte, um alle Kr"afte f"ur den Lauf zu sammeln, kaum die Augen offenhielt; in seiner Stumpfheit an eine andere Rettung als durch Laufen gar nicht dachte; und fast schon vergessen hatte, dass ihm die W"ande freistanden, die hier allerdings mit sorgf"altig geschnitzten M"obeln voll Zacken und Spitzen verstellt waren – da flog knapp neben ihm, leicht geschleudert, irgendetwas nieder und rollte vor ihm her. Es war ein Apfel; gleich flog ihm ein zweiter nach; Gregor blieb vor Schrecken stehen; ein Weiterlaufen war nutzlos, denn der Vater hatte sich entschlossen, ihn zu bombardieren. Aus der Obstschale auf der Kredenz hatte er sich die Taschen gef"ullt und warf nun, ohne vorl"aufig scharf zu zielen, Apfel f"ur Apfel. Diese kleinen roten "Apfel rollten wie elektrisiert auf dem Boden herum und stiessen aneinander. Ein schwach geworfener Apfel streifte Gregors R"ucken, glitt aber unsch"adlich ab. Ein ihm sofort nachfliegender drang dagegen f"ormlich in Gregors R"ucken ein; Gregor wollte sich weiterschleppen, als k"onne der "uberraschende unglaubliche Schmerz mit dem Ortswechsel vergehen; doch f"uhlte er sich wie festgenagelt und streckte sich in vollst"andiger Verwirrung aller Sinne. Nur mit dem letzten Blick sah er noch, wie die T"ur seines Zimmers aufgerissen wurde, und vor der schreienden Schwester die Mutter hervoreilte, im Hemd, denn die Schwester hatte sie entkleidet, um ihr in der Ohnmacht Atemfreiheit zu verschaffen, wie dann die Mutter auf den Vater zulief und ihr auf dem Weg die aufgebundenen R"ocke einer nach dem anderen zu Boden glitten, und wie sie stolpernd "uber die R"ocke auf den Vater eindrang und ihn umarmend, in g"anzlicher Vereinigung mit ihm – nun versagte aber Gregors Sehkraft schon – die H"ande an des Vaters Hinterkopf um Schonung von Gregors Leben bat.
III
Die schwere Verwundung Gregors, an der er "uber einen Monat litt – der Apfel blieb, da ihn niemand zu entfernen wagte, als sichtbares Andenken im Fleische sitzen –, schien selbst den Vater daran erinnert zu haben, dass Gregor trotz seiner gegenw"artigen traurigen und ekelhaften Gestalt ein Familienmitglied war, das man nicht wie einen Feind behandeln durfte, sondern dem gegen"uber es das Gebot der Familienpflicht war, den Widerwillen hinunterzuschlucken und zu dulden, nichts als zu dulden.
Und wenn nun auch Gregor durch seine Wunde an Beweglichkeit wahrscheinlich f"ur immer verloren hatte und vorl"aufig zur Durchquerung seines Zimmers wie ein alter Invalide lange, lange Minuten brauchte – an das Kriechen in der H"ohe war nicht zu denken –, so bekam er f"ur diese Verschlimmerung seines Zustandes einen seiner Meinung nach vollst"andig gen"ugenden Ersatz dadurch, dass immer gegen Abend die Wohnzimmert"ur, die er schon ein bis zwei Stunden vorher scharf zu beobachten pflegte, ge"offnet wurde, so dass er, im Dunkel seines Zimmers liegend, vom Wohnzimmer aus unsichtbar, die ganze Familie beim beleuchteten Tische sehen und ihre Reden, gewissermassen mit allgemeiner Erlaubnis, also ganz anders als fr"uher, anh"oren durfte.
Freilich waren es nicht mehr die lebhaften Unterhaltungen der fr"uheren Zeiten, an die Gregor in den kleinen Hotelzimmern stets mit einigem Verlangen gedacht hatte, wenn er sich m"ude in das feuchte Bettzeug hatte werfen m"ussen. Es ging jetzt meist nur sehr still zu. Der Vater schlief bald nach dem Nachtessen in seinem Sessel ein; die Mutter und Schwester ermahnten einander zur Stille; die Mutter n"ahte, weit unter das Licht vorgebeugt, feine W"asche f"ur ein Modengesch"aft; die Schwester, die eine Stellung als Verk"auferin angenommen hatte, lernte am Abend Stenographie und Franz"osisch, um vielleicht sp"ater einmal einen besseren Posten zu erreichen. Manchmal wachte der Vater auf, und als wisse er gar nicht, dass er geschlafen habe, sagte er zur Mutter: "Wie lange du heute schon wieder n"ahst! " und schlief sofort wieder ein, w"ahrend Mutter und Schwester einander m"ude zul"achelten.