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ЖАНРЫ

Bitterschokolade (Горький шоколад)
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Eva setzte sich auf. »Nein.«

»Aber Kind, hast du was? Was ist denn los?« Die Mutter war auf Eva zugekommen und hatte die Arme um sie gelegt. Einen Moment lang, einen winzigen Moment lang, lieЯ sich Eva in diese Arme fallen. Die Mutter roch warm und gut, noch ohne Blendamed und Haarspray.

Doch dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. »Ich habe schlecht geschlafen«, sagte sie. »Das ist alles.«

In der Schule war es wie immer, seit Franziska neu in die Klasse gekommen war, Franziska, die seltsamer-weise noch immer neben Eva saЯ, nach vier Monaten immer noch.

Eva hatte lang allein gesessen, fast zwei Jahre lang, an dieser Bank ganz hinten am Fenster. Frьher einmal war es Karola gewesen, die ihr morgens erzдhlt hatte, was gestern alles passiert war, und Eva, was passierte schon bei ihr, hatte es aufgesogen wie ein Schwamm, hatte Karolas Leben miterlebt, Geburtstagsfeiern, Ki­nobesuche, die berьhmte Schauspielertante, den Reit­unterricht, alles hatte Eva miterlebt, bis das Miterleben schal wurde und verblasste in der Eifersucht. Karola und Lena, Lena und Karola. Lena, die Elegante.

»Lena kann auch reiten! Findest du das nicht toll? Fьr nдchs­ten Sonntag haben wir uns verabredet.«

Eva hatte genickt. »Toll.« Eva hatte Karola weiter abschreiben lassen, hatte gelдchelt, hatte »Ja« gesagt und »Nein« gemeint, hдtte schreien wollen, brьllen, der Lena die langen, blonden Haare ausreiЯen, aber sie hatte gelдchelt. Und bei der nдchsten Gelegenheit hatte sie den Platz in der letzten Reihe am Fenster gewдhlt. Allein.

Karola und Lena saЯen in der Bank vor ihr. Eva konnte die morgendlichen Gesprдche hцren: Mensch, Lena, gestern bei der Party habe ich ...! Meine Mutter hat mir einen Pulli mitgebracht, Spitze, sag ich dir! Eva konnte auch sehen, wie Karola der Lena die Hand streichelte. Eva wusste, wie weich Karolas Hдnde

waren.

Und dann war der Tag gekommen, vor vier Mona­ten, dass Franziska in der Tьr gestanden hatte, lang­haarig, schmal. »Ja, ich komme aus Frankfurt. Wir sind umgezogen, weil mein Vater hier eine Stelle an einem Krankenhaus bekommen hat.«

Und Herr Hochstein hatte gesagt: »Setz dich neben Eva.«

Franziska hatte Eva die Hand gegeben, eine kleine Hand, kleiner als Bertholds, und sich gesetzt. Herr Hochstein hatte sie gefragt, was sie denn in ihrer letz­ten Schule zuletzt durchgenommen hatten in Mathe. Und als er feststellte, dass sie ziemlich weit zurьck war, wandte er sich an die Klasse und sagte mit einem Lдcheln, das kein Lдcheln war, einem Lдcheln, das sei­nen Mund nur in die Breite zog, einem Lдcheln, das Eva schon lange auf die Nerven gegangen war: »Fran­ziska wird lange brauchen, bis sie unseren bayerischen Standard erreicht haben wird.«

Eva sah, dass Franziska rot wurde. Sie sah sehr jung aus, verlegen wie Berthold unter Vaters Bemerkungen. Und Eva stand auf und sagte ganz laut: »Herr Hoch­stein, wollen Sie damit sagen, dass wir in Bayern klь­ger sind als die in Hessen?«

Karola drehte sich um. »Gut«, flьsterte sie.

»Aber nein«, stotterte Herr Hochstein, dem scha­denfrohen Grinsen der Mдdchen ausgeliefert, »so war das nicht gemeint. Es ist nur der Lehrplan, weiЯt du ...!«

Eva war ьber sich selbst erschrocken.

»Danke«, flьsterte das Mдdchen neben ihr.

Als die Stunde vorbei war, wandte sich Herr Hochstein noch einmal an Franziska. »Du hast Glьck, dass du neben unserem Mathe-As sitzt. Eva kцnnte dir viel helfen.«

Diesmal war Eva nicht ganz sicher, ob es wirklich spцttisch gemeint war. Es klang fast wie ein gut ge­meinter Rat.

Franziska saЯ immer noch neben Eva. Und sie war im­mer noch ziemlich schlecht in Mathe, obwohl Eva ihre alten Hefte herausgekramt und sie ihr gleich am nдchs­ten Tag gegeben hatte. Und immer noch sprach sie Eva an, redete mit ihr

ьber Lehrer und gab ihr morgens zur BegrьЯung die Hand.

»Ist etwas passiert?«

»Nein. Wieso?«

»Weil du so aussiehst.«

»Ich habe Kopfschmerzen.«

»Und warum bist du dann nicht zu Hause geblie­ben?«

Eva antwortete nicht. Sie packte ihre Bьcher aus. Sie hasste diesen Raum. Sie hasste dieses Haus. Jeden Tag, immer wieder! Ьber vier Jahre lagen hinter ihr und ьber vier Jahre vor ihr. Sie konnte sich das fast nicht vorstellen. Erste Stunde Herr Hochstein, Mathe, zwei­te Stunde Frau Peters, Deutsch, dritte Stunde Frau

Wittrock, Biologie, vierte Stunde Herr Kleiner, Eng­lisch, fьnfte Stunde Herr Hauser, Kunst, sechste Stun­de Frau Wendel, Franzцsisch. Und in allen Fдchern musste sie gut sein.

Ein Test in Englisch. Gelernt hatte sie gestern noch. Aber Karola, in der Bank vor ihr, stцhnte: »Und das bei diesem Wetter. Gestern war ich bis sieben im Schwimmbad.«

Diese Gans, dachte Eva. Immer beklagt sie sich, aber nie tut sie was. Sie ist selbst schuld.

»Franziska, gibst du mir einen Spickzettel?«, bat Ka­rola flьsternd. Franziska, die eine englische Mutter hatte und besser Englisch sprach als Herr Kleiner, nickte.

Eva begann zu schreiben. Franziska schob ihr einen Zettel zu. »Fьr Karola«, sagte sie leise. Eva schob den Zettel zurьck.

»Sei doch nicht so. Gib weiter.«

Eva schьttelte den Kopf, sie schaute nicht auf, be­wegte den Kopf kaum merklich und hдtte ihn doch schьtteln wollen, deutlich sichtbar, hдtte am liebsten laut »Nein« geschrien und »Sie geht schwimmen, sie geht auf Partys, sie geht tanzen, sie erlebt immer et­was! Warum soll sie auch noch gute Noten haben?«

Franziska hatte das winzige Kopfschьtteln gesehen, sie beugte sich vor, schrдg rьber, und lieЯ den Zettel ьber Karolas Schulter fallen.

Herr Kleiner war mit ein paar Schritten da, griff

nach Franziskas Blatt und legte es auf seinen Tisch. Mit seinem roten Filzschreiber zog er quer ьber das Geschriebene einen dicken Strich.

Niemand sagte ein Wort. Franziska saЯ mit unbe­weglichem Gesicht da. Sie ist selbst schuld, dachte Eva. Ganz allein ist sie schuld. Niemand hat sie ge­zwungen, das zu tun. Und dann dachte sie noch: Karo­la ist auch schuld. Warum tut sie nie etwas und will hinterher, dass andere ihr helfen?

In der Pause ging Franziska nicht neben Eva her.

6

Eva war um drei am Brunnen. Sie hatte den dunkel­blauen, engen Rock angezogen, dunkle Farben stre­cken, und die dunkelblaue Bluse, die die Schmidhuber ihr zum Sommer genдht hatte.

Michel war noch nicht da. Eva wischte mit der fla­chen Hand ьber die Brunnenmauer. Der Staub stob hoch und sank langsam zurьck. Sie дrgerte sich ьber die grauen Wolken auf ihrem Rock, und beim Versuch, sie wegzuwischen, rieb sie den hellen Staub erst recht in das dunkelblaue Leinen. Die Steine waren heiЯ. Lange hielt sie es nicht aus, da in der Sonne, auffдllige Statue auf dem Brunnenrand. Sie setzte sich unter ei­nen Baum.

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