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Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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Nach dem frugalen Mahle kam viel Heiterkeit in mein Gemut, und da eben die Sonne mir warm auf den Pelz schien, so fuhlte ich lebhaft, dass es doch schon sei auf dieser Erde. Als aber dann die kalte, feuchte Nacht einbrach, als ich kein weiches Lager fand wie bei meinem guten Meister, als ich, vor Frost starrend, vom Hunger auf's neue gepeinigt, am andern Morgen erwachte, da uberfiel mich eine Trostlosigkeit, die an Verzweiflung grenzte.»Das ist«(so brach ich aus in laute Klagen)»also die Welt, in die du dich hineinsehntest von dem heimatlichen Dache? – Die Welt, wo du Tugend zu finden hofftest, und Weisheit, und die Sittlichkeit der hohern Ausbildung! – O diese herzlosen Barbaren! – Worin besteht ihre Kraft als im Prugeln? Worin ihr Verstand, als in hohnlachender Verspottung? Worin ihr ganzes Treiben, als in scheelsuchtiger Verfolgung tieffuhlender Gemuter? – O fort – fort aus dieser Welt voll Gleisnerei und Trug! – Nimm mich auf in deine kuhlen Schatten, susser heimatlicher Keller! – O Boden – Ofen – o Einsamkeit, die mich erfreut, nach dir mein Herz, sich sehnt mit Schmerz!«

Der Gedanke meines Elends, meines hoffnungslosen Zustandes, ubermannte mich. Ich kniff die Augen zu, und weinte sehr.

Bekannte Tone schlugen an mein Ohr.»Murr – Murr! – geliebter Freund, wo kommst du her? Was ist mit dir geschehen?«

Ich schlug die Augen auf – der junge Ponto stand vor mir!

So sehr mich Ponto auch gekrankt hatte, doch war mir seine unverhoffte Erscheinung trostlich. Ich vergass die Unbill, die er mir angetan, erzahlte ihm, wie sich alles mit mir begeben, stellte ihm unter vielen Tranen meine traurige, hulflose Lage vor, schloss damit, ihm zu klagen, dass mich ein totender Hunger quale.

Statt mir, wie ich geglaubt, seine Teilnahme zu bezeigen, brach der junge Ponto in ein schallendes Gelachter aus.»Bist du nicht«, sprach er dann,»ein ausgemachter torichter Geck, lieber Murr? – Erst setzt sich der Hase in eine Halbchaise hinein, wo er nicht hingehort, schlaft ein, erschrickt, als er weggefahren wird, springt hinaus in die Welt, wundert sich gar machtig, dass ihn, der kaum vor die Ture seines Hauses geguckt, niemand kennt, dass er mit seinen dummen Streichen uberall schlecht ankommt, und ist dann so einfaltig, nicht einmal den Ruckweg finden zu konnen zu seinem Herrn. – Sieh Freund Murr, immer hast du geprahlt mit deiner Wissenschaft, mit deiner Bildung, immer hast du vornehm getan gegen mich, und nun sitzest du da, verlassen, trostlos, und all' die grossen Eigenschaften deines Geistes reichen nicht hin, dich zu belehren, wie du es anfangen musst, deinen Hunger zu stillen, und nach Hause zuruckzufinden zu deinem Meister! – Und wenn sich nun der, den du tief unter dir glaubtest, nicht deiner annimmt, so stirbst du zuletzt eines elendiglichen Todes, und keine sterbliche Seele fragt was nach deinem Wissen, nach deinem Talent, und keiner von den Dichtern, denen du dich befreundet glaubtest, setzt ein freundliches: Hic jacet! auf die Stelle, wo du aus lauter Kurzsichtigkeit verschmachtetest! – Siehst du, dass ich wohl auch durch die Schule gelaufen bin und lateinische Brocken einmischen kann, trotz einem? – Aber du hungerst, armer Kater, und diesem Bedurfnis muss zuerst abgeholfen werden, komm nur mit mir.«

Der junge Ponto hupfte frohlich vorauf, ich folgte niedergeschlagen, ganz zerknirscht uber seine Reden, die mir in meiner hungrigen Stimmung viel Wahres zu enthalten schienen. Doch wie erschrak ich als —

(Mak.-Bl.) – fur den Herausgeber dieser Blatter das angenehmste Ereignis von der Welt, dass er das ganze merkwurdige Gesprach Kreislers mit dem kleinen Geheimerat bruhwarm wieder erfuhr. Dadurch wurde er in den Stand gesetzt, Dir, geliebter Leser, wenigstens ein paar Bilder aus der fruhern Jugendzeit des seltnen Mannes, dessen Biographie er aufzuschreiben gewissermassen genotigt, vor die Augen zu bringen, und er vermeint, dass, was Zeichnung und Kolorit betrifft, diese Bilder wohl fur charakteristisch und bedeutsam genug gelten konnen. Wenigstens mag man nach dem, was Kreisler von Tante Fusschen und ihrer Laute erzahlt, nicht daran zweifeln, dass die Musik mit all' ihrer wunderbaren Wehmut, mit all' ihrem Himmelsentzucken, recht in die Brust des Knaben mit tausend Adern verwuchs, und nicht zum Verwundern mag's darum auch sein, dass eben dieser Brust, wird sie nur leise verwundet, gleich heisses Herzblut entquillt. Auf zwei Momente aus dem Leben des geliebten Kapellmeisters war bemeldeter Herausgeber besonders begierig, ja wie man zu sagen pflegt, ganz versessen. Namlich, auf welche Weise Meister Abraham in die Familie geriet und einwirkte auf den kleinen Johannes, und welche Katastrophe den ehrlichen Kreisler aus der Residenz warf und umstempelte zum Kapellmeister, welches er hatte von Haus aus sein sollen, wiewohl man der ewigen Macht trauen darf, die jeden zu rechter Zeit an die rechte Stelle setzt. Manches ist daruber ausgemittelt worden, welches Du o Leser! sogleich erfahren sollst.

Furs erste ist gar nicht daran zu zweifeln, dass zu Gonionesmuhl, wo Johannes Kreisler geboren und erzogen wurde, es einen Mann gab, der in seinem ganzen Wesen, in allem, was er unternahm, seltsam und eigentumlich erschien. Uberhaupt ist das Stadtlein Gonionesmuhl seit jeher das wahre Paradies aller Sonderlinge gewesen, und Kreisler wuchs auf, umgeben von den seltsamsten Figuren, die einen desto starkern Eindruck auf ihn machen mussten, als er wenigstens wahrend der Knabenzeit mit seinesgleichen keinen Umgang pflegte. Jener Mann trug aber mit einem bekannten Humoristen gleichen Namen, denn er hiess Abraham Liscov und war ein Orgelbauer, welches Metier er bisweilen tief verachtete, so dass man nicht recht wusste, was er eigentlich wollte.

So wie Kreisler erzahlt, wurde in der Familie von dem Herrn Liscov immer mit hoher Bewunderung gesprochen. Man nannte ihn den geschicktesten Kunstler, den es geben konne, und bedauerte nur, dass seine tollen Grillen, seine ausgelassenen Einfalle ihn von jedermann entfernt hielten. Als einen besondern Glucksfall ruhmte dieser, jener, dass Herr Liscov wirklich da gewesen und seinen Flugel neu befiedert und gestimmt habe. Eben von Liscov's phantastischen Streichen wurde dann auch manches erzahlt, welches auf den kleinen Johannes ganz besonders wirkte, so dass er sich von dem Mann, ohne ihn zu kennen, ein ganz bestimmtes Bild entwarf, sich nach ihm sehnte und als der Oheim versicherte, Herr Liscov wurde vielleicht kommen und den schadhaften Flugel reparieren, jeden Morgen fragte, ob Herr Liscov denn nicht endlich erscheinen werde. Dieses Interesse des Knaben fur den unbekannten Herrn Liscov steigerte sich aber bis zur hochsten anstaunenden Ehrfurcht, als er in der Hauptkirche, die der Oheim in der Regel nicht zu besuchen pflegte, zum erstenmal die machtigen Tone der grossen schonen Orgel vernahm, und als der Oheim ihm sagte, niemand anders, als eben Herr Abraham Liscov habe dies herrliche Werk verfertigt. Von diesem Augenblick an verschwand auch das Bild, das Johannes sich von Herrn Liscov entworfen, und ein ganz anderes trat an seine Stelle. Herr Liscov musste nach des Knaben Meinung ein grosser, schoner Mann sein, von stattlichem Ansehen, hell und stark sprechen, und vor allen Dingen einen pflaumfarbnen Rock tragen, mit breiten goldnen Tressen wie der Pate Kommerzienrat, der so gekleidet ging, und vor dessen reicher Tracht der kleine Johannes den tiefsten Respekt hegte.

Als eines Tages der Oheim mit Johannes am offnen Fenster stand, kam ein kleiner hagerer Mann die Strasse herab geschossen, in einem Rockelor von hellgrunem Berkan, dessen offne Armelklappen seltsam im Winde auf und nieder flatterten. Dazu hatte er ein kleines dreieckiges Hutchen martialisch auf die weissgepuderte Frisur gedruckt, und ein zu langer Haarzopf schlangelte sich herab uber den Rucken. Er trat hart auf, dass das Strassenpflaster drohnte, und stiess auch bei jedem zweiten Schritt mit dem langen spanischen Rohr, das er in der Hand trug, heftig auf den Boden. Als der Mann vor dem Fenster vorbeikam, warf er aus seinen funkelnden pechschwarzen Augen dem Oheim einen stechenden Blick zu, ohne seinen Gruss zu erwidern. Dem kleinen Johannes bebte es eiskalt durch alle Glieder, und zugleich war es ihm zu Mute, als musse er uber den Mann entsetzlich lachen, und konne nur nicht dazu kommen, weil ihm die Brust so beengt.»Das war der Herr Liscov,

«sprach der Oheim;»das wusste ich ja«, erwiderte Johannes, und er mochte recht haben. Weder ein grosser stattlicher Mann war Herr Liscov, noch trug er einen pflaumfarbnen Rock mit goldnen Tressen, wie der Pate Kommerzienrat; seltsam, ja wunderbar genug begab es sich aber, dass Herr Liscov ganz genau so aussah, wie der Knabe sich ihn fruher gedacht hatte, ehe er das Orgelwerk vernommen. Noch hatte sich Johannes nicht von seinem Gefuhl erholt, das dem eines jahen Schrecks zu vergleichen, als Herr Liscov plotzlich still stand, sich umdrehte, die Strasse entlang hinanpolterte, bis vor das Fenster, dem Oheim eine tiefe Verbeugung machte, davon rannte unter lautem Gelachter.

«Ist das wohl«, sprach der Oheim,»ein Betragen fur einen gesetzten Mann, der in den Studiis nicht unerfahren, der als privilegierter Orgelbauer zu den Kunstlern zu rechnen, und dem Gesetze des Landes verstatten einen Degen zu tragen? Sollte man nicht vermeinen, er habe schon am lieben fruhen Morgen zu tief ins Glas geguckt, oder sei dem Tollhause entsprungen? Aber ich weiss es, nun wird er herkommen und den Flugel in Ordnung bringen.«

Der Oheim hatte recht. Schon andern Tages war Herr Liscov da, aber statt die Reparatur des Flugels vorzunehmen, verlangte er, der kleine Johannes sollte ihm vorspielen. Dieser wurde auf den mit Buchern bepackten Stuhl gesetzt, Herr Liscov ihm gegenuber am schmalen Ende des Flugels, stutzte beide Arme auf das Instrument, und sah dem Kleinen starr ins Antlitz, welches ihn dermassen ausser Fassung brachte, dass die Menuetts, die Arien, die er aus dem alten Notenbuche abspielte, holpricht genug gingen. Herr Liscov blieb ernst, aber plotzlich rutschte der Knabe herab, und versank unter des Flugels Gestell, woruber der Orgelbauer, der ihm mit einem Ruck die Fussbank unter den Fussen weggezogen, eine unmassige Lache aufschlug. Beschamt rappelte sich der Knabe hervor, doch in dem Augenblick sass Herr Liscov auch schon vor dem Flugel, hatte einen Hammer hervorgezogen, und hammerte auf das arme Instrument so unbarmherzig los, als wolle er alles in tausend Stucke schlagen.»Herr Liscov sind Sie von Sinnen!«schrie der Onkel, aber der kleine Johannes, ganz entrustet, ganz ausser sich uber des Orgelbauers Beginnen, stemmte sich mit aller Gewalt gegen den Deckel des Instruments, so, dass er mit lautem Krachen zuschlug, und Herr Liscov schnell den Kopf zuruckziehen musste, um nicht getroffen zu werden. Dann rief er:»Ei lieber Onkel, das ist nicht der geschickte Kunstler, der die schone Orgel gebaut hat, er kann es nicht sein, denn dieser hier ist ja ein alberner Mensch, der sich betragt wie ein ungezogner Bube!«

Der Oheim verwunderte sich uber die Dreistigkeit des Knaben; aber Herr Liscov sah ihn lange starr an, sprach:»Er ist wohl ein kurioser Monsieur!«offnete leise und behutsam den Flugel, zog Instrumente hervor, begann seine Arbeit, die er in paar Stunden beendete, ohne ein einziges Wort zu sprechen.

Seit diesem Augenblick zeigte sich des Orgelbauers entschiedene Vorliebe fur den Knaben. Beinahe taglich kam er ins Haus, und wusste den Knaben bald fur sich zu gewinnen, indem er ihm eine ganze neue bunte Welt erschloss, in der sich sein reger Geist mutiger und freier bewegen konnte. Eben nicht loblich war es, dass Liscov, vorzuglich als Johannes schon in Jahren mehr vorgeruckt, den Knaben anregte zu den seltsamsten Foppereien, die oft gegen den Oheim selbst gerichtet waren, der freilich, beschrankten Verstandes, und voll der lacherlichsten Eigenheiten, dazu reichen Anlass bot. Gewiss ist es aber, dass, wenn Kreisler uber die trostlose Verlassenheit in seinen Knabenjahren klagt, wenn er das zerrissene Wesen, das ihn oft in seiner innersten Natur verstort, jener Zeit zuschreibt, wohl das Verhaltnis mit dem Oheim in Anschlag zu bringen ist. Er konnte den Mann, der Vaterstelle zu vertreten berufen, und der ihm mit seinem ganzen Tun und Wesen lacherlich erscheinen musste, nicht achten.

Liscov wollte den Johannes ganz an sich reissen, und es ware ihm gelungen, hatte sich nicht des Knaben edlere Natur dagegen gestraubt. Ein durchdringender Verstand, ein tiefes Gemut, eine ungewohnliche Erregbarkeit des Geistes, alles das waren anerkannte Vorzuge des Orgelbauers. Was man aber Humor zu nennen beliebte, war nicht jene seltne wunderbare Stimmung des Gemuts, die aus der tieferen Anschauung des Lebens in all' seinen Bedingnissen, aus dem Kampf der feindlichsten Prinzipe sich erzeugt, sondern nur das entschiedene Gefuhl des Ungehorigen, gepaart mit dem Talent, es ins Leben zu schaffen, und der Notwendigkeit der eignen bizarren Erscheinung. Dies war die Grundlage des verhohnenden Spottes, den Liscov uberall ausstromen liess, der Schadenfreude, mit der er alles als ungehorig Erkannte rastlos verfolgte bis in die geheimsten Winkel. Eben diese schadenfrohe Verspottung verwundete des Knaben zartes Gemut, und stand dem innigsten Verhaltnis, wie es der in wahrhafter innerer Gesinnung vaterliche Freund herbeigefuhrt haben wurde, entgegen. Zu leugnen ist aber auch nicht, dass der wunderliche Orgelbauer recht dazu geeignet war, den Keim des tiefern Humors, der in des Knaben Innern lag, zu hegen und zu pflegen, der denn auch sattsam gedieh und emporwuchs. —

Herr Liscov pflegte viel von Johannes Vater zu erzahlen, dessen vertrautester Freund er in seinen Junglingsjahren gewesen, zum Nachteil des erziehenden Oheims, der merklich in den Schatten trat, wenn der Bruder in hellem Sonnenlicht erschien. So ruhmte auch eines Tages der Orgelbauer den tiefen musikalischen Sinn des Vaters, und verspottete die verkehrte Art, wie der Oheim dem Knaben die ersten Elemente der Musik beigebracht. Johannes, dessen ganze Seele durchdrungen war von dem Gedanken an den, der ihm der Nachste gewesen, und den er nie gekannt, wollte immer noch mehr horen. Da verstummte aber Liscov plotzlich, und sah, wie einer, dem irgendein das Leben erfassender Gedanke vor die Seele tritt, starr zum Boden nieder.

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