Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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«In der Tat«, begann ich, als Ponto schwieg,»nach allem, was ich gelesen, mussen Walter und Formosus edle kraftige Menschen sein, die in treuer Aufopferung fur einander nichts von deiner geruhmten Weltklugheit wissen.«
«Hm«, erwiderte Ponto hamisch lachelnd,»es kommt darauf an! – Ein paar Umstande, von denen die Stadt keine Notiz genommen, und die ich zum Teil von meinem Herrn erfahren, teils selbst belauscht habe, sind noch nachzuholen. – Mit der Liebe des Herrn Formosus zu der reichen Prasidententochter muss es doch nicht so arg gewesen sein, wie der Alte glaubte, denn im hochsten Stadium dieser totenden Leidenschaft unterliess der junge Mann nicht, nachdem er den Tag uber verzweifelt, jeden Abend eine hubsche niedliche Putzmacherin zu besuchen. Als Ulrike nun aber seine Braut worden, fand er bald, dass das engelsmilde Fraulein das eigne Talent besass, sich bei schicklicher Gelegenheit plotzlich in einen kleinen Satan zu verwandeln. Ausserdem kam ihm aus sicherer Quelle die verdriessliche Nachricht zu, dass Fraulein Ulrike in der Residenz, was Liebe und Liebesgluck betrifft, ganz besondere Erfahrungen gemacht, und nun ergriff ihn plotzlich ein unwiderstehlicher Edelmut, vermoge dessen er die reiche Braut dem Freunde abtrat. Walter hatte sich in seltsamer Verwirrung in Ulriken, die er an offentlichen Orten im hochsten Glanz aller Toilettenkunste gesehen, wirklich verliebt, und Ulriken ihrerseits war es ziemlich einerlei, wer von beiden sich ihr als Gemahl anheftete, Formosus oder Walter. Dieser hatte auch wirklich ein schones eintragliches Amt, bei dessen Verwaltung aber solche krause Streiche gemacht, dass er der Entsetzung binnen weniger Zeit entgegensehen musste. Er zog es vor, fruher zugunsten seines Freundes den Abschied zu nehmen und so durch einen Akt, der alle Kennzeichen der edelsten Gesinnung trug, seine Ehre zu retten. Die dreitausend Taler wurden in guten Papieren einer alten, sehr anstandigen Frau eingehandigt, die zuweilen die Mutter, zuweilen die Muhme, zuweilen die Aufwarterin jener hubschen Putzmacherin vorstellte. Bei diesem Geschaft erschien sie in doppelter Gestalt. Erst bei dem Empfang des Geldes als Mutter, dann, als sie das Geld uberbrachte und einen guten Tragelohn empfing, als Aufwarterin des Madchens, die du kennst, lieber Murr, da sie eben erst mit dem Herrn Formosus zum Fenster hinausschaute. – Ubrigens wissen beide, Formosus und Walter langst, auf welche Weise sie sich in edelmutiger Gesinnung uberboten, sie haben sich, um wechselseitigen Lobeserhebungen auszuweichen, lange vermieden, und deshalb waren ihre heutigen Begrussungen, als der Zufall sie auf der Strasse zusammenfuhrte, so herzlich.«—
In dem Augenblick entstand ein furchterlicher Larm. Die Menschen liefen durcheinander, schrien:»Feuer! – Feuer!«Reiter sprengten durch die Strassen – Wagen rasselten. – Aus den Fenstern eines Hauses, unfern von uns, stromten Rauchwolken und Flammen. – Ponto sprang schnell vorwarts, ich aber in der Angst kletterte eine hohe Leiter hinauf, die an ein Haus gelehnt, und befand mich bald auf dem Dache in voller Sicherheit. Plotzlich kam mir —
(Mak. Bl.)» – ganz unvermutet uber den Hals«, sprach Furst Irenaus, ohne Anfrage des Hofmarschalls,»ohne Vorwort des diensttuenden Kammerherrn, beinahe – ich sag› Euch das unter uns, Meister Abraham, bringt es nicht etwa unter die Leute – beinahe unangemeldet – keine Liverei in den Vorzimmern. Die Esel spielten Brausebart im Vestibule. Spielen ist ein grosses Laster. Schon in die Ture getreten erwischte ihn der Tafeldecker, der zum Gluck gerade durchging, beim Rockschoss und fragte, wer der Herr sei, und wie er ihn dem Fursten servieren solle. Aber er hat mir wohl gefallen, es ist ein ganz artiger Mensch. Sagtet Ihr nicht, dass er sonst nichts weniger gewesen ware, als ein purer simpler Musikant? – sogar von einigem Stande?«—
Meister Abraham versicherte, dass Kreisler allerdings sonst in ganz anderen Verhaltnissen gelebt, die es ihm sogar vergonnt an der furstlichen Tafel zu speisen, und dass nur der verwustende Sturm der Zeit ihn aus diesen Verhaltnissen vertrieben. Ubrigens wunsche er aber, dass der Schleier den er uber die Vergangenheit geworfen, unverruckt liegen bleiben moge.
«Also«, nahm der Furst das Wort,»von Adel, vielleicht Baron – Graf – vielleicht gar – Nun man muss nicht zu weit gehen in traumerischer Hoffnung! – Ich habe ein Faible fur dergleichen Mysterien! Es war eine schone Zeit nach der franzosischen Revolution als Marquis Siegellack fabrizierten und Comtes Nachtmutzen strickten von Filet, und nichts sein wollten als simple Monsieurs, und man sich erlustigte auf dem grossen Maskenball. – Ja, was den Herrn von Kreisler betrifft! – Die Benzon versteht sich auf so etwas, sie ruhmte ihn, sie empfahl mir ihn, sie hat recht. An der Manier den Hut unter dem Arm zu halten, erkannte ich gleich den Mann von Bildung von feinem gelauterten Ton.«
Der Furst setzte noch einiges Lob uber Kreisler's aussere Erscheinung hinzu, so dass Meister Abraham uberzeugt war, sein Plan musse gelingen. Er hatte namlich im Sinn, den Herzensfreund dem eingebildeten Hofstaat einzuschieben als Kapellmeister, und ihn so in Sieghartsweiler festzuhalten. Als er nun aber auf's neue davon sprach, erwiderte der Furst ganz entschieden, dass daraus ganz und gar nichts werden konne.
«Sagt selbst«, fuhr er dann fort,»Meister Abraham, ob es moglich sein wurde den angenehmen Mann in meinen engeren Familienkreis zu ziehen, wenn ich ihn zum Kapellmeister, und so zu meinem Offizianten mache? – Ich konnte ihm eine Hofcharge verleihen, und ihn zum Maitre de Plaisirs oder des Spectacles machen, aber der Mann versteht die Musik aus dem Grunde, und ist auch, wie Ihr sagt, im Theaterwesen wohl erfahren. Nun weiche ich aber nicht ab von dem Grundsatz meines hochst seligen in Gott ruhenden Herrn Vaters, der immer behauptete, besagter Maitre musse um des Himmels willen sich auf die Sachen, deren Maitre er reprasentiere, nicht verstehen, da er sich sonst gar zu sehr darum bekummere, und sich viel zu sehr fur die Menschen, die dabei beschaftigt, als da sind Schauspieler, Musikanten u. s. w., interessiere. – Also dafur behalte Herr von Kreisler die Maske des fremden Kapellmeisters, und schreite damit hinein in die inneren Gemacher des furstlichen Hauses nach dem Beispiel eines hinlanglich vornehmen Mannes, der vor einiger Zeit in der freilich verwerflichen Maske eines schnoden Histrionen die auserlesensten Zirkel mit den anmutigsten Faxen amusierte.«
«Und da Ihr gewissermassen«, rief der Furst dem Meister Abraham, der sich fortbegeben wollte, zu,»den Charge d'affaires des Herrn von Kreisler zu machen scheinet, so will ich es Euch nicht verhehlen, dass nur zwei Dinge mir nicht recht an ihm gefallen wollen, die vielleicht mehr Gewohnheiten sind, als wirkliche Dinge. – Ihr versteht schon, wie ich das meine. – Furs erste starrt er mir, wenn ich mit ihm spreche, geradezu ins Antlitz. Ich habe doch konsiderable Augen, kann furchterlich daraus blitzen, wie weiland Friedrich der Grosse, kein Kammerjunker, kein Page wagt es aufzuschauen, wenn ich den entsetzlichen Blick auf ihn schiessend frage, ob das mauvais sujet schon wieder Schulden gemacht, oder den Marzipan aufgefressen, aber der Herr von Kreisler, den mag ich anblitzen, wie ich will, er macht sich gar nichts daraus, sondern lachelt mich an auf eine Weise, dass – ich selbst die Augen niederschlagen muss. Dann hat der Mann eine solche besondere Art zu sprechen, zu antworten, das Gesprach fortzufuhren, dass man zuweilen ordentlich glaubt, das, was man selbst gesagt, sei eben nicht sonderlich gewesen, man ware gewissermassen ein Be-. Beim St. Januar, Meister, das ist ganz unausstehlich, und Ihr musst dafur sorgen, dass Herr von Kreisler sich diese Dinge oder Gewohnheiten abgewohne.«
Meister Abraham versprach zu tun, was Furst Irenaus von ihm verlangte, und wollte aufs neue davon, da erwahnte der Furst noch des besonderen Widerwillens, den Prinzessin Hedwige gegen den Kreisler geaussert, und meinte, dass das Kind seit einiger Zeit von seltsamen Traumen und Einbildungen geplagt werde, weshalb der Leibarzt die Molkenkur zum nachsten Fruhjahr angeraten. Hedwiga sei namlich jetzt auf den sonderbaren Gedanken geraten, dass Kreisler dem Tollhause entsprungen, und allerlei Unheil anrichten werde bei nachster Gelegenheit.
«Sagt«, sprach der Furst,»sagt Meister Abraham, ob der vernunftige Mann wohl nur die mindeste Spur der Geisteszerruttung an sich tragt?«Abraham erwiderte, dass Kreisler zwar ebensowenig verruckt sei, als er selbst, jedoch sich zuweilen etwas seltsam gebarde, und in einen Zustand gerate, der beinahe dem des Prinzen Hamlet zu vergleichen, dadurch aber nur um so interessanter werde. – Soviel wie ich weiss«, nahm der Furst das Wort,»war der junge Hamlet ein vortrefflicher Prinz aus einem alten angesehenen Regentenhause, der sich nur zu Zeiten mit der sonderbaren Idee herumtrug, dass samtliche Hofleute sich auf das Flotenblasen verstehen sollten. Hohen Personen steht es wohl an, auf Seltsames zu verfallen, es vermehrt den Respekt. Was bei dem Mann ohne Rang und Stand eine Absurditat zu nennen, ist bei ihnen bloss die angenehme Kapriole eines ungemeinen Geistes, welche Staunen erregen muss, und Bewunderung. – Herr von Kreisler sollte fein im geraden Wege bleiben, will er aber durchaus den Prinzen Hamlet imitieren, so ist das ein schones Streben nach dem Hohern, vielleicht veranlasst durch seine uberwiegende Neigung zu den musikalischen Studien. Man mag es ihm verzeihen, wenn er bisweilen sich wunderlich betragen will.«—
Es schien, als wenn Meister Abraham heute nun einmal nicht aus dem Zimmer des Fursten kommen sollte; denn wiederum rief der Furst ihn zuruck, als er schon die Ture geoffnet, und verlangte zu wissen, woher der seltsame Widerwille der Prinzessin Hedwiga gegen den Kreisler wohl ruhren moge. Meister Abraham erzahlte die Art, wie Kreisler der Prinzessin und Julien zum erstenmal im Park zu Sieghartshof erschienen und meinte, dass die aufgeregte Stimmung, in der der Kapellmeister damals gewesen, auf eine Dame von zarten Nerven wohl habe feindlich wirken mussen.
Der Furst gab mit einiger Heftigkeit zu erkennen, wie er hoffe, dass Herr von Kreisler nicht wirklich zu Fusse nach Sieghartshof gekommen, sondern dass der Wagen hier oder dort im breiten Fahrwege des Parks gehalten, da nur gemeine Abenteurer zu Fusse zu reisen pflegten.
Meister Abraham meinte, dass man zwar das Beispiel eines tapfern Offiziers vor Augen habe, der von Leipzig nach Syrakus gelaufen, ohne sich ein einziges Mal die Stiefel versohlen zu lassen, was aber den Kreisler betreffe, so sei er uberzeugt, dass ein Wagen wirklich im Park gehalten. – Der Furst war zufrieden. —
Wahrend sich dies im Gemach des Fursten begab, sass Johannes bei der Ratin Benzon vor dem schonsten Flugel, den jemals die kunstreiche Nannette Streicher gebaut, und begleitete Julien das grosse leidenschaftliche Rezitativ der Klytamnestra aus Glucks» Iphigenia in Aulis.«—
Gegenwartiger Biograph ist leider genotigt, seinen Helden, soll das Portrat richtig sein, als einen extravaganten Menschen darzustellen, der, vorzuglich was die musikalische Begeisterung betrifft, oft dem ruhigen Beobachter beinahe wie ein Wahnsinniger erscheint. Er hat ihm schon die ausschweifende Redensart nachschreiben mussen, dass,»als Julia sang,»aller sehnsuchtige Schmerz der Liebe, alles Entzucken susser Traume, die Hoffnung, das Verlangen, durch den Wald wogte und niederfiel wie erquickender Tau in die duftenden Blumenkelche, in die Brust horchender Nachtigallen.
Julia, einer vollen metallreichen, glockenreinen Stimme machtig, sang mit dem Gefuhl, mit der Begeisterung, die aus dem im Innersten bewegten Gemut hervorstromt, und darin mochte wohl der wunderbare, unwiderstehliche Zauber liegen, den sie auch heute ubte. Der Atem jedes Zuhorers stockte, als sie sang; jeder fuhlte seine Brust beengt von sussem, namenlosem Weh, erst ein paar Augenblicke, nachher als sie geendet, brach das Entzucken los im sturmischen ungemessensten Beifall. Nur Kreisler sass da, stumm und starr, zuruckgelehnt in den Sessel: dann stand er leise und langsam auf, Julia wandte sich zu ihm mit einem Blick, der deutlich fragte:»War es denn auch wohl so recht?«– Errotend schlug sie aber die Augen nieder, als Kreisler, die Hand aufs Herz legend, mit zitternder Stimme lispelte:»Julia!«und dann mit gebucktem Haupte mehr schlich als ging hinter den Kreis, den die Damen geschlossen.