Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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Ponto lachte laut auf, als ich dies gesprochen und begann dann:»O Murr, mein guter Kater, du magst ein tuchtiger Literatus sein und dich wacker auf Dinge verstehen, von denen ich gar keine Ahnung habe, aber von dem eigentlichen Leben weisst du gar nichts, und wurdest verderben, da dir alle Weltklugheit ganzlich abgeht. – Furs erste wurdest du vielleicht anders geurteilt haben, ehe du die Wurst genossen, denn hungrige Leute sind viel artiger und fugsamer, als satte, dann aber bist du rucksichts meiner sogenannten Unterwurfigkeit in grossem Irrtum. Du weisst ja, dass das Tanzen und Springen mir grosses Vergnugen macht, so, dass ich es oft auf meine eigene Hand unternehme. Treibe ich nun, eigentlich nur zu meiner Motion, meine Kunste vor den Menschen, so macht es mir ungemeinen Spass, dass die Toren glauben, ich tate es aus besonderm Wohlgefallen an ihrer Person, und nur um ihnen Lust und Freude zu erregen. Ja sie glauben das, sollte auch eine andere Absicht ganz klar sein. Du hast, Geliebter! das lebendige Beispiel davon soeben erfahren. Musste das Madchen nicht gleich einsehen, dass es mir nur um eine Wurst zu tun war, und doch geriet sie in volle Freude, dass ich ihr, der Unbekannten, meine Kunste vormachte, als einer Person, die dergleichen zu schatzen vermogend, und eben in dieser Freude tat sie das, was ich bezweckte. Der Lebenskluge muss es verstehen, allem, was er bloss seinetwegen tut, den Anschein zu geben, als tate er es um anderer willen, die sich dann hoch verpflichtet glauben, und willig sind zu allem, was man bezweckte. Mancher erscheint gefallig, dienstfertig, bescheiden, nur den Wunschen anderer lebend, und hat nichts im Auge, als sein liebes Ich, dem die andern dienstbar sind, ohne es zu wissen. Das, was du also unterwurfige Schmeichelei zu nennen beliebst, ist nichts als weltkluges Benehmen, das in der Erkenntnis und der foppenden Benutzung der Torheit anderer seine eigentlichste Basis findet.«
«O Ponto«, erwiderte ich,»du bist ein Weltmann, das ist gewiss, und ich wiederhole, dass du dich auf das Leben besser verstehst als ich, aber dem unerachtet kann ich kaum glauben, dass deine seltsamen Kunste dir selbst Vergnugen machen sollten. Wenigstens ist mir das entsetzliche Kunststuck durch Mark und Bein gegangen, als du in meiner Gegenwart deinem Herrn ein schones Stuck Braten apportiertest, es sauber zwischen den Zahnen haltend, und nicht eher einen Bissen davon genossest, bis dein Herr dir die Erlaubnis zuwinkte.«
«Sage mir doch, guter Murr«, fragte Ponto,»was sich nachher begab!«
«Beide«, erwiderte ich,»dein Herr und Meister Abraham lobten dich uber alle Massen, und setzten dir einen ganzen Teller mit Braten hin, den du mit erstaunlichem Appetit verzehrtest.«
«Nun also, bester Kater«, fuhr Ponto fort,»glaubst du wohl, dass, hatt' ich apportierend das kleine Stuck Braten gefressen, dass ich dann eine solch reichliche Portion, und uberhaupt Braten erhalten? Lerne, o unerfahrner Jungling! dass man kleine Opfer nicht scheuen darf, um Grosses zu erreichen. Mich wundert's, dass bei deiner starken Lekture dir nicht bekannt worden, was es heisst, die Wurst nach der Speckseite werfen. – Pfote aufs Herz, muss ich dir gestehen, dass, traf' ich einsam im Winkel einen ganzen schonen Braten an, ich ihn ganz gewiss verzehren wurde, ohne auf die Erlaubnis meines Herrn zu warten, konnt' ich das nur unbelauscht vollbringen. Es liegt nun einmal in der Natur, dass man im Winkel ganz anders handelt, als auf offener Strasse. Ubrigens ist es auch ein aus tiefer Weltkenntnis geschopfter Grundsatz, dass es ratsam ist, in Kleinigkeiten ehrlich zu sein.«
Ich schwieg einige Augenblicke, uber Pontos geausserte Grundsatze nachdenkend; mir fiel ein, irgendwo gelesen zu haben, ein jeder musse so handeln, dass seine Handlungsweise als allgemeines Prinzip gelten konne, oder wie er wunsche, dass alle rucksichts seiner handeln mochten, und bemuhte mich vergebens, dies Prinzip mit Pontos Weltklugheit in Ubereinstimmung zu bringen. Mir kam in den Sinn, dass alle Freundschaft, die mir Ponto in dem Augenblick erzeigte, wohl auch gar zu meinem Schaden nur seinen eignen Vorteil bezwecken konne, und ich ausserte dies unverholen.
«Kleiner Schaker«, rief Ponto lachend,»von dir ist gar nicht die Rede! – Du kannst mir keinen Vorteil gewahren, keinen Schaden verursachen. Um deine toten Wissenschaften beneide ich dich nicht, dein Treiben ist nicht das meinige, und solltest du dir es etwa beikommen lassen, feindliche Gesinnungen gegen mich zu aussern, so bin ich dir an Starke und Gewandheit uberlegen. Ein Sprung, ein tuchtiger Biss meiner scharfen Zahne, wurde dir auf der Stelle den Garaus machen.«
Mich wandelte eine grosse Furcht an vor meinem eignen Freunde, die sich vermehrte, als ein grosser schwarzer Pudel ihn freundlich nach gewohnlicher Art begrusste, und beide, mich mit gluhenden Augen anblickend, leise miteinander sprachen.
Die Ohren angekniffen, druckte ich mich an die Seite, doch bald sprang Ponto, den der Schwarze verlassen, wieder auf mich zu, und rief:»Komm nur, mein Guter!«
«Ach Himmel«, fragte ich in der Besturzung,»wer war denn der ernste Mann, der vielleicht ebenso weltklug als du?«
«Ich glaube gar«, erwiderte Ponto,»du furchtest dich vor meinem guten Oheim, dem Pudel Skaramuz? Ein Kater bist du schon, und willst nun gar ein Hase werden. –
«Aber«, sprach ich,»warum warf der Oheim mir solche gluhende Blicke zu, und was flustertet ihr so heimlich, so verdachtig miteinander?
– «
«Nicht verhehlen will ich's dir, mein guter Murr«, erwiderte Ponto,»dass mein alter Oheim etwas murrisch ist, und wie es denn nun bei alten Leuten gewohnlich der Fall, an verjahrten Vorurteilen hangt. Er wunderte sich uber unser Beisammensein, da die Ungleichheit unsers Standes jede Annaherung verbieten musse. Ich versicherte, dass du ein junger Mann von vieler Bildung und angenehmem Wesen warst, der mich bisweilen sehr belustige. Da meinte er, dann konne ich mich wohl dann und wann einsam mit dir unterhalten, nur solle ich's mir nicht etwa einfallen lassen, dich mitzubringen in eine Pudelassemblee, da du nun und nimmermehr assembleefahig werden konntest, schon deiner kleinen Ohren halber, die nur zu sehr deine niedere Abkunft verrieten, und von tuchtigen grossgeohrten Pudeln durchaus fur unanstandig geachtet wurden.
«Ich versprach das.«
Hatt' ich schon damals etwas gewusst von meinem grossen Ahnherrn, dem gestiefelten Kater, der Amter und Wurden erlangte, dem Busenfreunde Konig Gottliebs, ich wurde dem Freunde Ponto sehr leicht bewiesen haben, dass jede Pudelassemblee sich geehrt fuhlen musse durch die Gegenwart eines Abkommlings aus der illustersten Familie; so musste ich, aus der Obskuritat noch nicht hervorgetreten, es aber leiden, dass beide, Skaramuz und Ponto, sich uber mich erhaben dunkten. – Wir schritten weiter fort. Dicht vor uns wandelte ein junger Mann, der trat mit einem lauten Ausruf der Freude so schnell zuruck, dass er mich, sprang ich nicht schnell zur Seite, schwer verletzt haben wurde. Ebenso laut schrie ein anderer junger Mann, der, die Strasse herab, jenem entgegenkam. Und nun sturzten sich beide in die Arme, wie Freunde, die sich lange nicht gesehen, und wandelten dann eine Strecke vor uns her, Hand in Hand, bis sie still standen und, ebenso zartlich voneinander Abschied nehmend, sich trennten. Der, der vor uns hergeschritten, sah dem Freunde lange nach und schlupfte dann schnell in ein Haus hinein. Ponto stand still, ich desgleichen. Da wurde im zweiten Stock des Hauses, in das der junge Mann getreten, ein Fenster geoffnet, ein bildhubsches Madchen schaute heraus; hinter ihr stand der junge Mann, und beide lachten sehr, dem Freunde nachschauend, von dem sich der junge Mann soeben getrennt. Ponto sah herauf, und murmelte etwas zwischen den Zahnen, welches ich nicht verstand.
«Warum weilst du hier, lieber Ponto, wollen wir nicht weitergehen?«So fragte ich, Ponto liess sich aber nicht storen, bis er nach einigen Augenblicken heftig den Kopf schuttelte, und dann schweigend den Weg fortsetzte.
«Lass uns«, sprach er, als wir auf einen mit Baumen umgebenen, mit Statuen verzierten, anmutigen Platz gelangten,»hier ein wenig verweilen, guter Murr. Mir kommen jene beiden jungen Manner, die sich so herzlich auf der Strasse umarmten, nicht aus dem Sinn. Es sind Freunde, wie Damon und Pylades.«
«Damon und Pythias«, verbesserte ich,»Pylades war der Freund des Orestes, den er jedesmal getreulich im Schlafrock zu Bette brachte, und mit Kamillentee bediente, wenn die Furien und Damonen dem armen Mann zu hart zugesetzt. Man merkt, guter Ponto, dass du in der Geschichte nicht sonderlich bewandert.«
«Gleichviel«, fuhr der Pudel fort,»aber die Geschichte von den beiden Freunden weiss ich sehr genau, und will sie dir erzahlen mit allen Umstanden, so wie ich sie zwanzigmal von meinem Herrn erzahlen horte. Vielleicht wirst du neben Damon und Pythias, Orestes und Pylades, als drittes Paar, Walter und Formosus nennen. Formosus ist namlich derselbe junge Mann, der dich beinahe zu Boden getreten, in der Freude, seinen geliebten Walter wiederzusehen. – Dort in dem schonen Hause mit den hellen Spiegelfenstern wohnt der alte steinreiche Prasident, bei dem sich Formosus durch seinen leuchtenden Verstand, durch seine Gewandheit, durch sein glanzendes Wissen, so einzuschmeicheln wusste, dass er dem Alten bald war, wie der eigene Sohn. Es begab sich, dass Formosus plotzlich all' seine Heiterkeit verlor, dass er blass aussah und kranklich, dass er in einer Viertelstunde zehnmal aus tiefer Brust aufseufzte, als wolle er sein Leben aushauchen, dass er, ganz in sich gekehrt, ganz in sich verloren, fur nichts in der Welt mehr seine Sinne aufschliessen zu konnen schien. – Lange Zeit hindurch drang der Alte vergebens in den Jungling, dass er ihm die Ursache seines geheimen Kummers entdecken moge; endlich kam es heraus, dass er bis zum Tode verliebt war in des Prasidenten einzige Tochter. Anfangs erschrak der Alte, der mit seinem Tochterlein ganz andere Dinge im Sinne haben mochte, als sie an den rang- und amtlosen Formosus zu verheiraten, als er aber den armen Jungling immer mehr und mehr hinwelken sah, ermannte er sich und fragte Ulriken, wie ihr der junge Formosus gefalle, und ob er ihr schon etwas von seiner Liebe gesagt? – Ulrike schlug die Augen nieder, und meinte, erklart habe sich der junge Formosus zwar gar nicht gegen sie, aus lauter Zuruckhaltung und Bescheidenheit, aber gemerkt habe sie wohl langst, dass er sie liebe, denn so was sei wohl zu bemerken. Ubrigens gefalle ihr der junge Formosus recht wohl, und wenn sonst dem nichts im Wege stande, und wenn der Herzenspapa nichts dagegen habe, und – kurz, Ulrike sagte alles, was Madchen bei derlei Gelegenheit zu sagen pflegen, die nicht mehr in der ersten vollsten Blute stehen, und fleissig denken: ›Wer wird der sein, der dich heimfuhrt?‹ – Darauf sprach der Prasident zum Formosus: ›Richte dein Haupt auf, mein Junge! – Sei froh und glucklich, du sollst sie haben, meine Ulrike!‹ und so wurde Ulrike die Braut des jungen Herrn Formosus. Alle Welt gonnte dem hubschen bescheidenen Jungling sein Gluck, nur einer geriet daruber in Gram und Verzweiflung, und das war Walter, mit dem Formosus ein Herz und eine Seele aufgewachsen. Walter hatte Ulriken einigemal gesehen, auch wohl gesprochen, und sich in sie verliebt, vielleicht noch viel arger, als Formosus! – Doch ich rede immer von Liebe und verliebt sein, und weiss nicht, ob du, mein Kater, schon jemals in Liebe gewesen bist und also dies Gefuhl kennst?« —»Was mich betrifft, lieber Ponto«, erwiderte ich,»glaube ich nicht, dass ich schon geliebt habe oder liebe, da ich mir bewusst bin, noch nicht in den Zustand geraten zu sein, wie ihn mehrere Dichter beschreiben. Den Dichtern ist nicht allemal ganz zu trauen, nach dem was ich aber sonst daruber weiss und gelesen habe, muss die Liebe eigentlich nichts anders sein, als ein psychischer Krankheitszustand, der sich bei dem menschlichen Geschlecht als partieller Wahnsinn darin offenbart, dass man irgendeinen Gegenstand fur etwas ganz anders halt, als was er eigentlich ist, z. B. ein kleines dickes Ding von Madchen, welche Strumpfe stopft, fur eine Gottin. Doch fahre nur fort, geliebter Pudel, in deiner Erzahlung von den beiden Freunden Formosus und Walter.«—
«Walter«, so sprach Ponto weiter,»sturzte dem Formosus an den Hals und sprach unter vielen Tranen: ›Du raubst mir das Gluck meines Lebens, aber dass Du es bist, dass Du glucklich wirst, das ist mein Trost, lebe wohl, mein Geliebter, lebe wohl auf ewig!‹ – Darauf lief Walter in den Busch, wo er am dicksten war, und wollte sich totschiessen. Es unterblieb aber, weil er in der Verzweiflung vergessen hatte, das Pistol zu laden, er begnugte sich daher mit einigen Ausbruchen des Wahnsinnes, die jeden Tag wiederkehrten. Eines Tages trat Formosus, den er in vielen Wochen nicht gesehen, ganz unvermutet zu ihm herein, als er eben vor Ulrikens Pastellgemalde, das unter Glas und Rahmen an der Wand hing, auf den Knien lag und grasslich lamentierte. – ›Nein‹, rief Formosus, indem er den Walter an seine Brust druckte, ›ich konnte Deinen Schmerz, Deine Verzweiflung nicht ertragen, Dir opfere ich gern mein Gluck. – Ich habe Ulriken entsagt, ich habe den alten Vater dahin gebracht, dass er Dich zum Eidam annimmt. – Ulrike liebt Dich, vielleicht ohne es selbst zu wissen. – Bewirb Dich um sie, ich scheide. – Lebe wohl!‹ – Er wollte fort, Walter hielt ihn fest. Es war diesem, als lage er im Traum, er glaubte an alles nicht fruher, als bis Formosus ein eigenhandiges Billett des alten Prasidenten hervorzog, worin es ungefahr hiess: ›Edler Jungling! Du hast gesiegt, ungern lasse ich Dich, aber ich ehre Deine Freundschaft, die dem Heroismus gleicht, von welchem man in den alten Skribenten lieset. Mag Herr Walter, der ein Mann ist von loblichen Eigenschaften und ein schones eintragliches Amt hat, sich um meine Tochter Ulrike bewerben; will sie ihn ehelichen, so habe ich meinerseits nichts dagegen.‹ – Formosus verreiste wirklich, Walter bewarb sich um Ulriken, Ulrike wurde wirklich Walters Frau. – Der alte Prasident schrieb nun nochmals an Formosus, uberhaufte ihn mit Lobspruchen und fragte, ob es ihm vielleicht Vergnugen machen wurde, nicht etwa als Entschadigung, denn er wisse wohl, dass es in solchem Fall keine gebe, sondern nur als ein geringes Zeichen seiner innigen Zuneigung dreitausend Taler anzunehmen. Formosus antwortete, der Alte kenne die Geringfugigkeit seiner Bedurfnisse, Geld mache, konne ihn nicht glucklich machen, und nur die Zeit ihn trosten uber einen Verlust, an dem niemand schuld sei als das Schicksal, welches in der Brust des teuren Freundes die Liebe zu Ulriken entzundet, und nur dem Schicksal sei er gewichen, von irgendeiner edlen Tat daher gar nicht die Rede. Ubrigens nehme er das Geschenk unter der Bedingung, dass der Alte es einer armen Witwe, die da und da mit einer tugendhaften Tochter in trostlosem Elende lebe, zuwende. Die Witwe wurde ausfindig gemacht und erhielt die dem Formosus zugedachten dreitausend Reichstaler. Bald darauf schrieb Walter dem Formosus: ›Ich kann nicht mehr leben ohne Dich, kehre zuruck in meine Arme!‹ – Formosus tat es und erfuhr, als er gekommen, dass Walter seinen schonen eintraglichen Posten aufgegeben, unter der Bedingung, dass Formosus, der sich langst einen ahnlichen gewunscht, ihn erhalte. Formosus erhielt den Posten wirklich und geriet, rechnete man die getauschte Hoffnung rucksichts der Heirat mit Ulriken ab, in die behaglichste Lage. Stadt und Land erstaunte uber den Wettstreit des Edelmuts beider Freunde, ihre Tat wurde als Nachklang aus einer langst vergangenen schoneren Zeit vernommen, als Beispiel aufgestellt eines Heroismus, dessen nur hohe Geister fahig.«