Чтение онлайн

ЖАНРЫ

Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
Шрифт:

Es mag wohl sein, dass die Liebe der grossen Herren zur Kunst und Wissenschaft nur als ein integrierender Teil des eigentlichen Hoflebens anzusehen ist. Der Anstand erfordert es Gemalde zu besitzen und Musik zu horen, und ubel wurde es sein, wenn der Hofbuchbinder feiern und nicht die neueste Literatur fortwahrend in Gold und Leder kleiden sollte. Ist aber jene Liebe ein integrierender Teil des Hoflebens selbst, so muss sie mit diesem zugleich untergehen und kann nicht als etwas fur sich fort Bestehendes Trost gewahren fur den verlornen Thron oder das kleine Regentenstuhlchen, auf dem man zu sitzen gewohnt.

Furst Irenaus erhielt sich beides, das Hofleben und die Liebe fur die Kunste und Wissenschaften, indem er einen sussen Traum ins Leben treten liess, in dem er selbst mit seiner Umgebung, so wie ganz Sieghartsweiler, figurierte.

Er tat namlich so, als sei er regierender Herr, behielt die ganze Hofhaltung, seinen Kanzler des Reichs, sein Finanzkollegium amp;c. bei, erteilte seinen Hausorden, gab Cour, Hofballe, die meistenteils aus zwolf bis funfzehn Personen bestanden, da auf die eigentliche Courfahigkeit strenger geachtet wurde, als an den grossten Hofen, und die Stadt war gutmutig genug, den falschen Glanz dieses traumerischen Hofes fur etwas zu halten, das ihr Ehre und Ansehen bringe. So nannten die guten Sieghartsweiler den Fursten Irenaus ihren gnadigsten Herrn, illuminierten die Stadt an seinem Namensfeste und an den Namenstagen seines Hauses, und opferten sich uberhaupt gern auf fur das Vergnugen des Hofes, wie die atheniensischen Burgersleute in Shakespeares Sommernachtstraum.

Es war nicht zu leugnen, dass der Furst seine Rolle mit dem wirkungsvollsten Pathos durchfuhrte, und dieses Pathos seiner ganzen Umgebung mitzuteilen wusste. – So erscheint ein furstlicher Finanzrat in dem Klub zu Sieghartsweiler finster, in sich gekehrt, wortkarg. – Wolken ruhen auf seiner Stirn, er versinkt oft in tiefes Nachdenken, fahrt dann auf, wie plotzlich erwachend. – Kaum wagt man es laut zu sprechen, hart aufzutreten in seiner Nahe. Es schlagt neun Uhr, da springt er auf, nimmt seinen Hut, vergebens sind alle Bemuhungen, ihn festzuhalten, er versichert mit stolzem tiefbedeutendem Lacheln, dass ihn Aktenstosse erwarten, dass er die Nacht wurde opfern mussen, um sich zu der morgenden, hochst wichtigen, letzten Quartalsitzung des Kollegiums vorzubereiten, eilt hinweg und hinterlasst die Gesellschaft in ehrfurchtsvoller Erstarrung uber die enorme Wichtigkeit und Schwierigkeit seines Amtes. – Und der wichtige Vortrag, auf den sich der geplagte Mann die Nacht uber vorbereiten muss? – Je nun, die Waschzettel aus samtlichen Departements, der Kuche, der Tafel, der Garderobe usw. furs verflossene Vierteljahr sind eingegangen, und er ist es, der in allen Waschangelegenheiten den Vortrag hat. – So bemitleidet die Stadt den armen furstlichen Wagenmeister, spricht jedoch, von dem sublimen Pathos des furstlichen Kollegiums ergriffen, strenge aber gerecht! – Der Mann hat namlich, erhaltener Instruktion gemass, einen Halbwagen, der unbrauchbar geworden, verkauft, das Finanzkollegium ihm aber bei Strafe augenblicklicher Kassation aufgegeben, binnen drei Tagen nachzuweisen, wo er die andere Halfte gelassen, die vielleicht noch brauchbar gewesen. —

Ein besonderer Stern, der am Hofe des Fursten Irenaus leuchtete, war die Ratin Benzon, Witwe in der Mitte der dreissiger Jahre, sonst eine gebietende Schonheit, noch jetzt nicht ohne Liebreiz, die einzige, deren Adel zweifelhaft und die der Furst dennoch ein fur allemal als courfahig angenommen. Der Ratin heller, durchdringender Verstand, ihr lebhafter Geist, ihre Weltklugheit, vorzuglich aber eine gewisse Kalte des Charakters, die dem Talent zu herrschen unerlasslich, ubten ihre Macht in voller Starke, so dass sie es eigentlich war, die die Faden des Puppenspiels an diesem Miniaturhofe zog. Ihre Tochter, Julia geheissen, war mit der Prinzessin Hedwiga aufgewachsen, und auch auf die Geistesbildung dieser hatte die Ratin so gewirkt, dass sie in dem Kreise der furstlichen Familie wie eine Fremde erschien und sonderbar abstach gegen den Bruder. Prinz Ignaz war namlich zu ewiger Kindheit verdammt, beinahe blodsinnig zu nennen.

Der Benzon gegenuber, ebenso einflussreich, ebenso eingreifend in die engsten Verhaltnisse des furstlichen Hauses, wiewohl auf ganz andere Weise als sie, stand der seltsame Mann, den du, geneigter Leser, bereits kennst als Maitre de plaisir des Irenausschen Hofes und ironischen Schwarzkunstler.

Merkwurdig genug ist es, wie Meister Abraham in die furstliche Familie geriet.

Des Fursten Irenaus hochseliger Herr Papa war ein Mann von einfachen, milden Sitten. Er sah es ein, dass irgend eine Kraftausserung das kleine schwache Raderwerk der Staatsmaschine zerbrechen musse, statt ihm einen bessern Schwung zu geben. Er liess es daher in seinem Landlein fortgehen, wie es zuvor gegangen, und fehlt' es ihm dabei an Gelegenheit, einen glanzenden Verstand oder andere besondere Gaben des Himmels zu zeigen, so begnugte er sich damit, dass in seinem Furstentum jedermann sich wohl befand, und dass, rucksichts des Auslandes, es ihm so ging wie den Weibern, die dann am tadelfreisten sind, wenn man gar nicht von ihnen spricht. War des Fursten kleiner Hof steif, zeremonios, altfrankisch, konnte der Furst gar nicht eingehen in manche loyale Ideen, wie sie die neuere Zeit erzeugt, so lag das an der Unwandelbarkeit des holzernen Gestelles, das Oberhofmeister, Hofmarschalle, Kammerherren in seinem Innern muhsam zusammengerichtet. In diesem Gestelle arbeitete aber ein Triebrad, das kein Hofmeister, kein Marschall jemals hatte zum Stillstehen bringen konnen. Dies war namlich ein dem Fursten angeborner Hang zum Abenteuerlichen, Seltsamen, Geheimnisvollen. – Er pflegte zuweilen, nach dem Beispiel des wurdigen Kalifen Harun al Raschid verkleidet Stadt und Land zu durchstreichen, um jenen Hang, der mit seiner ubrigen Lebenstendenz in dem sonderbarsten Widerspiel stand, zu befriedigen, oder wenigstens Nahrung dafur zu suchen. Dann setzte er einen runden Hut auf und zog einen grauen Oberrock an, so dass jedermann auf den ersten Blick wusste, dass der Furst nun nicht zu erkennen.

Es begab sich, dass der Furst also verkleidet und unerkennbar die Allee durchschritt, die von dem Schloss aus nach einer entfernten Gegend fuhrte, in der einzeln ein kleines Hauschen stand, von der Witwe eines furstlichen Mundkochs bewohnt. Gerade vor diesem Hauschen angekommen, gewahrte der Furst zwei in Mantel gehullte Manner, die zur Hausture hinausschlichen. Er trat zur Seite, und der Historiograph des Irenausschen Hauses, dem ich dies nachschreibe, behauptet, der Furst sei selbst dann nicht bemerkt und erkannt worden, wenn er, statt des grauen Oberrocks, das glanzendste Staatskleid angehabt, mit dem funkelnden Ordensstern darauf, aus dem Grunde, weil es stockfinsterer Abend gewesen. Als die beiden verhullten Manner dicht vor dem Fursten langsam vorubergingen, vernahm dieser ganz deutlich folgendes Gesprach. Der eine: Bruder Exzellenz, ich bitte dich, nimm dich zusammen, sei nur diesesmal kein Esel! – Der Mensch muss fort, ehe der Furst etwas von ihm erfahrt, denn sonst behalten wir den verfluchten Hexenmeister auf dem Halse, der uns mit seinen Satanskunsten alle ins Verderben sturzt. Der andere: Mon cher frere, ereifere dich doch nur nicht so, du kennst meine Sagazitat, mein savoir faire. Morgen werf› ich dem gefahrlichen Menschen ein paar Karolin an den Hals, und da mag er seine Kunststuckchen den Leuten vormachen, wo er will; hier darf er nicht bleiben. Der Furst ist ubrigens ein —.«

Die Stimmen verhallten, der Furst erfuhr daher nicht, wofur ihn sein Hofmarschall hielt, denn kein anderer als dieser und sein Bruder, der Oberjagermeister, waren die Personen, welche aus dem Hause schlichen und das verfangliche Gesprach fuhrten. Der Furst hatte beide sehr genau an der Sprache erkannt.

Man kann denken, dass der Furst nichts Angelegentlicheres zu tun hatte, als jenen Menschen, jenen gefahrlichen Hexenmeister aufzusuchen, dessen Bekanntschaft ihm entzogen werden sollte. Er klopfte an das Hauschen, die Witwe trat mit einem Licht in der Hand heraus und fragte, da sie den runden Hut und den grauen Oberrock des Fursten gewahrte, mit kalter Hoflichkeit: Was steht zu Ihren Diensten, Monsieur? Monsieur wurde namlich der Furst angeredet, wenn er verkleidet war und unkenntlich. Der Furst erkundigte sich nach dem Fremden, der bei der Witwe eingekehrt sein sollte, und erfuhr, dass der Fremde kein anderer sei, als ein sehr geschickter, beruhmter, mit vielen Attestaten, Konzessionen und Privilegien versehener Taschenspieler, der hier seine Kunste zu produzieren gedenke. Soeben, erzahlte die Witwe, waren zwei Herrn vom Hofe bei ihm gewesen, die er, vermoge der ganz unerklarlichen Sachen, welche er ihnen vorgemacht, dermassen in Erstaunen gesetzt, dass sie ganz blass, verstort, ja ganz ausser sich, das Haus verlassen hatten.

Ohne weiteres liess sich der Furst hinauf fuhren. Meister Abraham (niemand anders war der beruhmte Taschenspieler) empfing ihn wie einen, den er langst erwartet, und verschloss die Ture.

Niemand weiss, was nun Meister Abraham begonnen, gewiss ist es aber, dass der Furst die ganze Nacht uber bei ihm blieb, und dass am andern Morgen Zimmer eingerichtet wurden auf dem Schlosse, die Meister Abraham bezog, und zu denen der Furst aus seinem Studierzimmer mittels eines geheimen Ganges unbemerkt gelangen konnte. Gewiss ist es ferner, dass der Furst den Hofmarschall nicht mehr mon cher ami nannte, und sich von dem Oberjagermeister niemals mehr die wunderbare Jagdgeschichte von dem weissen gehornten Hasen, den er (der Oberjagermeister) bei seinem ersten jagerischen Ausflug in den Wald nicht schiessen konnen, erzahlen liess, welches die Gebruder in Gram und Verzweiflung sturzte, so, dass beide sehr bald den Hof verliessen. Gewiss endlich, dass Meister Abraham nicht allein durch seine Phantasmagorieen, sondern auch durch das Ansehen, das er sich immer mehr und mehr bei dem Fursten zu erwerben wusste, Hof, Stadt und Land in Erstaunen setzte.

Von den Kunststucken, die Meister Abraham vollfuhrte, erzahlt oben bemeldeter Historiograph des Irenausschen Hauses so viel ganz Unglaubliches, dass man es nicht nachschreiben kann, ohne alles Zutrauen des geneigten Lesers aufs Spiel zu setzen. Dasjenige Kunststuck, welches aber der Historiograph fur das wunderbarste von allen halt, ja von dem er behauptet, dass es hinlanglich beweise, wie Meister Abraham offenbar mit fremden unheimlichen Machten in bedrohlichem Bunde stehe, ist indes nichts anders, als jenes akustische Zauberspiel, das spater unter der Benennung des unsichtbaren Madchens so viel Aufsehen gemacht, und das Meister Abraham schon damals sinnreicher, phantastischer, das Gemut ergreifender, aufzustellen wusste, als es nachher jemals geschehen.

Nebenher wollte man auch wissen, dass der Furst selbst mit dem Meister Abraham gewisse magische Operationen unternehme, uber deren Zweck unter den Hofdamen, Kammerherrn und andern Leuten vom Hofe ein angenehmer Wettstreit alberner, sinnloser Vermutungen entstand. Darin waren alle einig, dass Meister Abraham dem Fursten das Goldmachen beibringe, wie aus dem Rauch, der aus dem Laboratorio bisweilen dringe, zu schliessen, und dass er ihn eingefuhrt in allerlei nutzliche Geister-Konferenzen. Alle waren ferner davon uberzeugt, dass der Furst das Patent fur den neuen Burgermeister im Marktflecken nicht vollziehe, ja, dem furstlichen Ofenheizer keine Zulage bewillige, ohne den ›Agathodamon‹, den Spiritum familiarem, oder die Gestirne zu befragen.

Als der alte Furst starb und Irenaus ihm in der Regierung folgte, verliess Meister Abraham das Land. Der junge Furst, der von des Vaters Neigung zum Abenteuerlichen, Wunderbaren durchaus nichts vererbt, liess ihn zwar ziehen, fand aber bald, dass Meister Abrahams magische Kraft vorzuglich sich darin bewahre, einen gewissen bosen Geist zu beschworen, der sich an kleinen Hofen nur gar zu gern einnistet, namlich den Hollengeist der Langenweile. Dann hatte auch das Ansehen, in dem Meister Abraham bei dem Vater stand, tiefe Wurzel gefasst in dem Gemut des jungen Fursten. Es gab Augenblicke, in denen dem Fursten Irenaus zu Mute wurde, als sei Meister Abraham ein uberirdisches Wesen, uber alles was menschlich erhaben, stehe es auch noch so hoch. Man sagt, dass diese ganz besondere Empfindung von einem kritischen unvergesslichen Moment in der Jugendgeschichte des Fursten herruhre. Als Knabe war er einst mit kindischer, uberlastiger Neugier in Meister Abrahams Zimmer eingedrungen und hatte lappisch eine kleine Maschine, die der Meister eben mit vieler Muhe und Kunst vollendet, zerbrochen, der Meister aber im vollen Zorn uber das verderbliche Ungeschick dem kleinen furstlichen Bengel eine fuhlbare Ohrfeige zugeteilt, und ihn dann mit einiger nicht ganz sanfter Schnelligkeit hinausgefuhrt aus der Stube auf den Korridor. Unter hervorquellenden Tranen konnte der junge Herr nur mit Muhe die Worte hervorstammeln: Abraham – soufflet – so dass der besturzte Oberhofmeister es fur ein gefahrvolles Wagnis hielt, tiefer einzudringen in das furchterliche Geheimnis, das zu ahnen er sich unterstehen musste.

Поделиться с друзьями: