Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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Eben in diesem Augenblick ist nichts anders zu erzahlen, als dass nicht lange nachher, als Furst Irenaus in Sieghartsweiler sich niedergelassen, an einem schonen Sommerabend Prinzessin Hedwiga und Julia in dem anmutigen Park Sieghartshof lustwandelten. Wie ein goldner Schleier lag der Schein der sinkenden Sonne ausgebreitet uber dem Walde. Kein Blattlein ruhrte sich. In ahnungsvollem Schweigen harrten Baum und Gebusch, dass der Abendwind komme und mit ihnen kose. Nur das Getose des Waldbachs, der uber weisse Kiesel fortbrauste, unterbrach die tiefe Stille. Arm in Arm verschlungen, schweigend, wandelten die Madchen fort durch die schmalen Blumengange, uber die Brucken, die uber die verschiedenen Schlingungen des Bachs fuhrten, bis sie an das Ende des Parks, an den grossen See kamen, in dem sich der ferne Geierstein mit seinen malerischen Ruinen abspiegelte.
«Es ist doch schon!« rief Julia recht aus voller Seele.»Lass uns«, sprach Hedwiga,»in die Fischerhutte treten. Die Abendsonne brennt entsetzlich und drinnen ist die Aussicht nach dem Geierstein aus dem mittlern Fenster noch schoner als hier, da die Gegend dort nicht Panorama, sondern in gruppierter Ansicht, wahrhaftes Bild erscheint«.
Julia folgte der Prinzessin, die, kaum hineingetreten und zum Fenster hinausschauend, sich nach Crayon und Papier sehnte, um die Aussicht in der Beleuchtung zu zeichnen, welche sie ungemein pikant nannte.
«Ich mochte«, sprach Julia,»ich mochte dich beinahe um deine Kunstfertigkeit beneiden, Baume und Gebusche, Berge, Seen, so ganz nach der Natur zeichnen zu konnen. Aber ich weiss es schon, konnte ich auch so hubsch zeichnen als du, doch wurd' es mir niemals gelingen, eine Landschaft nach der Natur aufzunehmen, und zwar um desto weniger, je herrlicher der Anblick. Vor lauter Freude und Entzucken des Schauens wurd' ich gar nicht zur Arbeit kommen«. – Der Prinzessin Antlitz uberflog bei diesen Worten Julia's ein gewisses Lacheln, das bei einem sechzehnjahrigen Madchen bedenklich genannt werden durfte. Meister Abraham, der im Ausdruck zuweilen etwas seltsam, meinte, solch Muskelspiel im Gesicht sei dem Wirbel zu vergleichen auf der Oberflache des Wassers, wenn sich in der Tiefe etwas Bedrohliches ruhrt. – Genug, Prinzessin Hedwiga lachelte; indem sie aber die Rosenlippen offnete, um der sanften unkunstlerischen Julia etwas zu entgegnen, liessen sich ganz in der Nahe Akkorde horen, die so stark und wild angeschlagen wurden, dass das Instrument kaum eine gewohnliche Guitarre zu sein schien.
Die Prinzessin verstummte, und beide, sie und Julia, eilten vor das Fischerhaus.
Nun vernahmen sie eine Weise nach der andern, verbunden durch die seltsamsten Ubergange, durch die fremdartigste Akkordenfolge. Dazwischen liess sich eine sonore mannliche Stimme horen, die bald alle Sussigkeit des italienischen Gesanges erschopfte, bald, plotzlich abbrechend, in ernste dustere Melodien fiel, bald rezitativisch, bald mit starken kraftig akzentierten Worten dreinsprach. —
Die Guitarre wurde gestimmt – dann wieder Akkorde – dann wieder abgebrochen und gestimmt – dann heftige, wie im Zorn ausgesprochene Worte – dann Melodien – dann aufs neue gestimmt. —
Neugierig auf den seltsamen Virtuosen, schlichen Hedwiga und Julia naher heran, bis sie einen Mann in schwarzer Kleidung gewahrten, der, den Rucken ihnen zugewendet, auf einem Felsstuck dicht an dem See sass, und das wunderliche Spiel trieb, mit Singen und Sprechen.
Eben hatte er die Guitarre ganz und gar umgestimmt, auf ungewohnliche Weise, und versuchte nun einige Akkorde, dazwischen rufend:»Wieder verfehlt – keine Reinheit – bald ein Komma zu tief, bald ein Komma zu hoch!«—
Dann fasste er das Instrument, das er von dem blauen Bande, an dem es ihm um die Schultern hing, losgenestelt, mit beiden Handen, hielt es vor sich hin und begann: Sage mir, du kleines eigensinniges Ding, wo ruht eigentlich dein Wohllaut, in welchem Winkel deines Innersten hat sich die reine Skala verkrochen? – Oder willst du dich vielleicht auflehnen gegen deinen Meister und behaupten, sein Ohr sei totgehammert worden in der Schmiede der gleichschwebenden Temperatur, und seine Enharmonik nur ein kindisches Vexierspiel? Du verhohnst mich, glaub' ich, unerachtet ich den Bart viel besser geschoren trage, als Meister Stefano Pacini, detto il Venetiano, der die Gabe des Wohllauts in dein Innerstes legte, die mir ein unerschliessbares Geheimnis bleibt. Und, liebes Ding, dass du es nur weisst, willst du den unisonierenden Dualismus von Gis und As oder Cis und Des – oder vielmehr samtlicher Tone durchaus nicht verstatten, so schicke ich dir neue tuchtige deutsche Meister auf den Hals, die sollen dich ausschelten, dich kirre machen mit unharmonischen Worten. – Und du magst dich nicht deinem Stefano Pacini in die Arme werfen, du magst nicht wie ein keifendes Weib das letzte Wort behalten wollen. – Oder bist du vielleicht gar dreist und stolz genug, zu meinen, dass alle schmucken Geister, die in dir wohnen, nur dem gewaltigen Zauber der Magier folgen, die langst von der Erde gegangen, und dass in den Handen eines Hasenfusses«—
Bei dem letzten Worte hielt der Mann plotzlich inne, sprang auf und schaute wie in tiefen Gedanken versunken, in den See hinein. – Die Madchen, gespannt durch des Mannes seltsames Beginnen, standen wie eingewurzelt hinter dem Gebusch; sie wagten kaum zu atmen.
«Die Guitarre«, brach der Mann endlich los,»ist doch das miserabelste, unvollkommenste Instrument von allen Instrumenten, nur wert, von girrenden liebeskranken Schafern in die Hand genommen zu werden, die das Emboucheur zur Schalmei verloren haben, da sie sonst es vorziehen wurden, erklecklich zu blasen, das Echo zu wecken mit den Kuhreigen der sussesten Sehnsucht, und klagliche Melodien entgegenzusenden den Emmelinen in den weiten Bergen, die das liebe Vieh zusammentreiben mit dem lustigen Geknalle empfindsamer Hetzpeitschen. – O Gott! – Schafer, die ›wie ein Ofen seufzen mit Jammerlied auf ihrer Liebsten Brau'n‹ – lehrt ihnen, dass der Dreiklang aus nichts anderm bestehe, als aus drei Klangen, und niedergestossen werde durch den Dolchstich der Septime, und gebt ihnen die Guitarre in die Hande! – Aber ernsten Mannern von leidlicher Bildung, von vorzuglicher Erudition, die sich abgegeben mit griechischer Weltweisheit und wohl wissen, wie es am Hofe zu Peking oder Nanking zugeht, aber den Teufel was verstehen von Schaferei und Schafzucht, was soll denen das Achzen und Klimpern? – Hasenfuss, was beginnst du? Denke an den seligen Hippel, welcher versichert, dass, sah' er einen Mann Unterricht erteilen im Klavierschlagen, es ihm zu Mute werde als sotte besagter Lehrherr weiche Eier – und nun Guitarre klimpern – Hasenfuss! – Pfui Teufel!« – Damit schleuderte der Mann das Instrument weit von sich ins Gebusch und entfernte sich raschen Schrittes, ohne die Madchen zu bemerken.
«Nun«, rief Julia nach einer Weile lachend,»Hedwiga, was sagst Du zu dieser verwunderlichen Erscheinung? Wo mag der seltsame Mann her sein, der erst so hubsch mit seinem Instrument zu sprechen weiss und es dann verachtlich von sich wirft, wie eine zerbrochene Schachtel?«
«Es ist unrecht«, sprach Hedwiga wie im plotzlich aufwallenden Zorn, indem ihre verbleichten Wangen sich blutrot farbten,»dass der Park nicht verschlossen ist, dass jeder Fremde hinein kann«.
«Wie«, erwiderte Julia,»der Furst sollte, meinst Du, engherzig, den Sieghartsweilern – nein, nicht diesen allein, jedem, der des Weges wandelt, gerade den anmutigsten Fleck der ganzen Gegend verschliessen? Das ist unmoglich Deine ernste Meinung!« —»Du bedenkst«, fuhr die Prinzessin noch bewegter fort,»die Gefahr nicht, die fur uns daraus entsteht. Wie oft wandeln wir so wie heute allein, entfernt von aller Dienerschaft, in den entlegensten Gangen des Waldes umher! – Wie, wenn einmal irgendein Bosewicht –
«Ei«, unterbrach Julia die Prinzessin,»ich glaube gar, Du furchtest, aus diesem, jenem Gebusch konnte irgendein ungeschlachter, marchenhafter Riese, oder ein fabelhafter Raubritter hervorspringen und uns entfuhren auf seine Burg! – Nun, das wolle der Himmel verhuten! – Aber sonst muss ich Dir gestehen, dass mir irgendein kleines Abenteuer hier in dem einsamen romantischen Walde recht hubsch, recht anmutig bedunken mochte. – Ich denke eben an Shakespeares» Wie es Euch gefallt«, das uns die Mutter so lange nicht in die Hande geben wollte, und das uns endlich Lothario vorgelesen. Was gilt es, Du wurdest auch gern ein bisschen Celia spielen, und ich wollte Deine treue Rosalinde sein. – Was machen wir aus unserm unbekannten Virtuosen?«
«O«, erwiderte die Prinzessin,»eben dieser unbekannte Mensch – Glaubst du wohl, Julia, dass mir seine Gestalt, seine wunderlichen Reden ein inneres Grauen erregten, das mir unerklarlich ist? – Noch jetzt durchbeben mich Schauer, ich erliege beinahe einem Gefuhl, das, seltsam und entsetzlich zugleich, alle meine Sinne gefangen nimmt. In dem tiefsten, dunkelsten Gemut regt sich eine Erinnerung auf und ringt vergebens sich deutlich zu gestalten. – Ich sah diesen Menschen schon in irgendeine furchterliche Begebenheit verflochten, die mein Herz zerfleischte – vielleicht war es nur ein spukhafter Traum, dessen Andenken mir geblieben – Genug – der Mensch mit seinem seltsamen Beginnen, mit seinen wirren Reden, deuchte mir ein bedrohliches, gespenstisches Wesen, das uns vielleicht verlocken wollte in verderbliche Zauberkreise.«
«Welche Einbildungen«, rief Julia,»ich fur mein Teil verwandle das schwarze Gespenst mit der Guitarre in den Monsieur Jacques, oder gar in den ehrlichen Probstein, dessen Philosophie beinahe so lautet, wie die wunderlichen Reden des Fremden. – Doch hauptsachlich ist es nun notig, die arme Kleine zu retten, die der Barbar so feindselig in das Gebusch geschleudert hat.«—
«Julia – was beginnst Du – um des Himmels willen!« rief die Prinzessin; doch ohne auf sie zu achten, schlupfte Julia hinein in das Dickicht und kam nach wenigen Augenblicken triumphierend, die Guitarre, die der Fremde weggeworfen, in der Hand, zuruck.