Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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Die Prinzessin uberwand ihre Scheu und betrachtete sehr aufmerksam das Instrument, dessen seltsame Form schon von hohem Alter zeugte, hatte das auch nicht die Jahreszahl und der Name des Meisters bestatigt, den man durch die Schalloffnung auf dem Boden deutlich wahrnahm. Schwarz eingeatzt waren namlich die Worte:»Stefano Pacini fec. Venet. 1532«.
Julia konnte es nicht unterlassen, sie schlug einen Akkord auf dem zierlichen Instrument an, und erschrak beinahe uber den machtigen, vollen Klang, der aus dem kleinen Dinge heraustonte.»O herrlich – herrlich!« rief sie aus und spielte weiter. Da sie aber gewohnt, nur ihren Gesang mit der Guitarre zu begleiten, so konnte es nicht fehlen, dass sie bald unwillkurlich zu singen begann, indem sie weiter fortwandelte. Die Prinzessin folgte ihr schweigend. Julia hielt inne; da sprach Hedwiga:»Singe, spiele auf dem zauberischen Instrumente, vielleicht gelingt es Dir, die bosen, feindlichen Geister, die Macht haben wollten uber mich, hinabzubeschworen in den Orkus.«
«Was willst Du«, erwiderte Julia,»mit Deinen bosen Geistern, die sollen uns beiden fremd sein und bleiben, aber singen will ich und spielen; denn ich wusste nicht, dass jemals mir ein Instrument so zur Hand gewesen, mir uberhaupt so zugesagt hatte, als eben dieses. Mir scheint auch, als wenn meine Stimme viel besser dazu laute als sonst.«– Sie begann eine bekannte italienische Canzonetta und verlor sich in allerlei zierliche Melismen, gewagte Laufe und Capriccios, Raum gebend dem vollen Reichtum der Tone, der in ihrer Brust ruhte.
War die Prinzessin erschrocken uber den Anblick des Unbekannten, so erstarrte Julia zur Bildsaule, als er, da sie eben in einen andern Gang einbiegen wollte, plotzlich vor ihr stand.
Der Fremde, wohl an dreissig Jahre alt, war nach dem Zuschnitt der letzten Mode schwarz gekleidet. In seinem ganzen Anzuge fand sich durchaus nichts Sonderbares, Ungewohnliches, und doch hatte sein Ansehen etwas Seltsames, Fremdartiges. Trotz der Sauberkeit seiner Kleidung war eine gewisse Nachlassigkeit sichtbar, die weniger von Mangel an Sorgfalt, als davon herzuruhren schien, dass der Fremde gezwungen worden, einen Weg zu machen, auf den er nicht gerechnet, und zu dem sein Anzug nicht passte. Mit aufgerissener Weste, das Halstuch nur leicht umschlungen, die Schuhe dick bestaubt, auf denen die goldnen Schnallchen kaum sichtbar, stand er da, und narrisch genug sah es aus, dass er an dem kleinen dreieckigen Hutchen, das nur bestimmt, unter den Armen getragen zu werden, die hintere Krempe herabgeschlagen hatte, um sich gegen die Sonne zu schutzen. Er hatte sich durchgedrangt durch das tiefste Dickicht des Parks, denn sein wirres schwarzes Haar hing voller Tannadeln. Fluchtig schaute er die Prinzessin an und liess dann den seelenvollen leuchtenden Blick seiner grossen dunkeln Augen auf Julia ruhen, deren Verlegenheit noch dadurch erhoht wurde, so dass ihr, wie es in dergleichen Fallen ihr zu geschehen pflegte, die Tranen in die Augen traten.
«Und diese Himmelstone,
Die Prinzessin, den ersten Eindruck, den der Fremde auf sie gemacht, mit Gewalt niederkampfend, blickte ihn stolz an und sprach dann mit beinahe schneidendem Ton:»Allerdings uberrascht uns Ihre plotzliche Erscheinung, mein Herr! man erwartet um diese Zeit keine Fremden mehr im furstlichen Park. – Ich bin die Prinzessin Hedwiga.«—
Der Fremde hatte sich, sowie die Prinzessin zu sprechen begann, rasch zu ihr gewendet und schaute ihr jetzt in die Augen, aber sein ganzes Antlitz schien ein anderes worden. – Vertilgt war der Ausdruck schwermutiger Sehnsucht, vertilgt jede Spur des tief im Innersten aufgeregten Gemuts, ein toll verzerrtes Lacheln steigerte den Ausdruck bitterer Ironie bis zum Possierlichen, bis zum Skurrilen. – Die Prinzessin blieb, als trafe sie ein elektrischer Schlag, mitten in der Rede stecken und schlug, blutrot im ganzen Gesicht, die Augen nieder.
Es schien, als wollte der Fremde etwas sagen, in dem Augenblick begann indessen Julia:»Bin ich nicht ein dummes, torichtes Ding, dass ich erschrecke, dass ich weine wie ein kindisches Kind, das man ertappt uber dem Naschen? – Ja, mein Herr, ich habe genascht, hier die trefflichsten Tone weggenascht von Ihrer Guitarre – die Guitarre ist an allem schuld und unsere Neugier! – Wir haben Sie belauscht, wie Sie mit dem kleinen Dinge so hubsch zu sprechen wussten, und wie Sie dann im Zorn die Arme wegschleuderten in das Gebusch, dass sie im lauten Klageton aufseufzte, auch das haben wir gesehen. Und das ging mir so recht tief ins Herz, ich musste hinein in das Dickicht und das schone, liebliche Instrument aufheben. – Nun, Sie wissen wohl, wie Madchen sind, ich klimpere etwas auf der Guitarre und da fuhr es mir in die Finger – ich konnt' es nicht lassen. – Verzeihen Sie mir, mein Herr, und empfangen Sie Ihr Instrument zuruck.«
Julia reichte die Guitarre dem Fremden hin.
«Es ist«, sprach der Fremde,»ein sehr seltnes klangvolles Instrument, noch aus alter, guter Zeit her, das nur in meinen ungeschickten Handen – doch was Hande – was Hande! – Der wunderbare Geist des Wohllauts, der diesem kleinen seltsamen Dinge befreundet, wohnt auch in meiner Brust, aber eingepuppt, keiner freien Bewegung machtig; doch aus Ihrem Innern, mein Fraulein, schwingt er sich auf zu den lichten Himmelsraumen, in tausend schimmernden Farben, wie das glanzende Pfauenauge. – Ha! mein Fraulein, als Sie sangen, aller sehnsuchtige Schmerz der Liebe, alles Entzucken susser Traume, die Hoffnung, das Verlangen, wogte durch den Wald und fiel nieder wie erquickender Tau in die duftenden Blumenkelche, in die Brust horchender Nachtigallen! – Behalten Sie das Instrument, nur Sie gebieten uber den Zauber, der in ihm verschlossen!«
«Sie warfen das Instrument fort«, erwiderte Julia hoch errotend.
«Es ist wahr«, sprach der Fremde, indem er mit Heftigkeit die Guitarre ergriff und an seine Brust druckte,»ich warf es fort und empfange es geheiligt zuruck; nie kommt es mehr aus meinen Handen.«—
Plotzlich verwandelte sich nun das Antlitz des Fremden wieder in jene skurrile Larve, und er sprach mit hohem, schneidenden Ton:»Eigentlich hat mir das Schicksal oder mein Kakodamon einen sehr bosen Streich gespielt, dass ich hier so ganz ex abrupto, wie die Lateiner und noch andere ehrliche Leute sagen, vor Ihnen erscheinen muss, meine hochverehrtesten Damen! – O Gott, gnadigste Prinzessin, riskieren Sie es, mich anzuschauen von Kopf bis zu Fuss. Sie werden dann aus meinem Ajustement zu entnehmen geruhen, dass ich mich auf einer grossen Visitenfahrt befinde. – Ha! ich gedachte eben bei Sieghartsweiler vorzufahren und der guten Stadt, wo nicht meine Person, doch wenigstens eine Visitenkarte abzugeben. – O Gott! fehlt es mir denn an Konnexionen, meine gnadigste Prinzessin? – War nicht sonst der Hofmarschall Dero Herrn Vaters mein Intimus? – Ich weiss es, sah er mich hier, so druckte er mich an seine Atlasbrust und sagte geruhrt, indem er mir eine Prise darbot:»Hier sind wir unter uns, mein Lieber, hier kann ich meinem Herzen und den angenehmsten Gesinnungen freien Lauf lassen.«– Audienz hatte ich erhalten bei dem gnadigsten Herrn Fursten Irenaus, und ware auch Ihnen vorgestellt worden, o Prinzessin! Vorgestellt worden auf eine Weise, dass ich mein bestes Gespann von Septime-Akkorden gegen eine Ohrfeige setze, ich hatte Ihre Huld erworben! – Aber nun! – hier im Garten am unschicklichsten Orte, zwischen Ententeich und Froschgraben, muss ich mich selbst prasentieren, mir zum ewigen Malheur! – O Gott, konnt' ich nur was weniges hexen, konnt' ich nur subito diese edle Zahnstocherbuchse (er zog eine aus der Westentasche hervor) verwandeln in den schmuckesten Kammerherrn des Irenausschen Hofes, welcher mich beim Fittich nahme und sprache: ›Gnadigste Prinzessin, hier ist der und der!‹ – Aber nun! – che far', che dir'! – Gnade – Gnade, o Prinzessin! o Damen! – o Herren!«
Damit warf sich der Fremde vor der Prinzessin nieder und sang mit kreischender Stimme:»Ah pieta, pieta Signora!«
Die Prinzessin fasste Julien und rannte mit ihr unter dem lauten Ausruf: Es ist ein Wahnsinniger, ein Wahnsinniger, der dem Tollhause entsprungen! so schnell von dannen, als sie es nur vermochte.
Dicht vor dem Lustschlosse kam die Ratin Benzon den Madchen entgegen, die atemlos ihr beinahe zu Fussen sanken.»Was ist geschehen, um des Himmels willen, was ist Euch geschehen, was bedeutet die ubereilte Flucht?«So fragte sie. Die Prinzessin vermochte, ausser sich, verstort, wie sie war, nur in abgebrochenen Reden etwas von einem Wahnsinnigen herzustammeln, der sie uberfallen. Julia erzahlte ruhig und besonnen, wie sich alles begeben, und schloss damit, dass sie den Fremden durchaus nicht fur wahnsinnig, sondern nur fur einen ironischen Schalk, wirklich fur eine Art von Monsieur Jacques halte, der zur Komodie im Ardenner Walde passe.
Die Ratin Benzon liess sich alles nochmals wiederholen, sie fragte nach dem kleinsten Umstande, sie liess sich den Fremden beschreiben in Gang, Stellung, Gebarde, Ton der Sprache usw.»Ja«, rief sie dann,»es ist nur zu gewiss, er ist es, er ist es selbst, kein anderer kann – darf es sein!«
«Wer – wer ist es?«fragte die Prinzessin ungeduldig.
«Ruhig, liebe Hedwiga,
«erwiderte die Benzon,»Sie haben Ihren Atem umsonst verkeucht; kein Wahnsinniger ist dieser Fremde, der Ihnen so bedrohlich erschien. Welchen bittern, unziemlichen Scherz er sich auch seiner barocken Manier gemass erlaubte, so glaube ich doch, dass Sie sich mit ihm aussohnen werden.««Nimmermehr«, rief die Prinzessin,»sehe ich ihn wieder, den – unbequemen Narren.«
«Ei Hedwiga«, sprach die Benzon lachend,»welcher Geist gab Ihnen das Wort, unbequem, ein, das nach dem, was vorgegangen, viel besser passt, als Sie vielleicht selbst glauben und ahnen mogen.«
«Ich weiss auch gar nicht«, begann Julia,»wie Du auf den Fremden so zurnen magst, liebe Hedwiga? – Selbst in seinem narrischen Tun, in seinen wirren Reden, lag etwas, das auf seltsame und gar nicht unangenehme Weise mein Innerstes anregte. Wohl Dir, erwiderte die Prinzessin, indem ihr die Tranen in die Augen traten, dass Du so ruhig sein kannst und unbefangen, aber mir zerschneidet der Hohn des entsetzlichen Menschen das Herz! – Benzon, wer ist es, wer ist der Wahnsinnige?«»Mit zwei Worten«, sprach die Benzon,»erklare ich alles. Als ich mich vor funf Jahren in…«