Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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Der Furst fuhlte lebhaft das Bedurfnis, den Meister Abraham als das belebende Prinzip der Hofmaschine bei sich zu behalten; vergebens waren aber alle seine Bemuhungen, ihn zuruckzubringen. Erst nach jenem verhangnisvollen Spaziergange, als Furst Irenaus sein Landchen verloren, als er die chimarische Hofhaltung zu Sieghartsweiler eingerichtet, fand sich auch Meister Abraham wieder ein, und in der Tat, zu gelegenerer Zeit hatte er gar nicht kommen konnen. Denn ausserdem dass —
(M. f. f.) – merkwurdige Begebenheit, die, um mich des gewohnlichen Ausdrucks geistreicher Biographen zu bedienen, einen Abschnitt in meinem Leben machte.
– Leser! – Junglinge, Manner, Frauen, unter deren Pelz ein fuhlend Herz schlagt, die ihr Sinn habt fur Tugend – die ihr die sussen Bande erkennet, womit uns die Natur umschlingt, ihr werdet mich verstehen und – mich lieben!
Der Tag war heiss gewesen, ich hatte ihn unter dem Ofen verschlafen. Nun brach die Abenddammerung ein, und kuhle Winde sausten durch meines Meisters geoffnetes Fenster. Ich erwachte aus dem Schlaf, meine Brust erweiterte sich, durchstromt von dem unnennbaren Gefuhl, das, Schmerz und Lust zugleich, die sussesten Ahnungen entzundet. Von diesen Ahnungen uberwaltigt, erhob ich mich hoch in jener ausdrucksvollen Bewegung, die der kalte Mensch Katzenbuckel benennet. – Hinaus – hinaus trieb es mich in die freie Natur, ich begab mich daher aufs Dach und lustwandelte in den Strahlen der sinkenden Sonne. Da vernahm ich Tone von dem Boden aufsteigen, so sanft, so heimlich, so bekannt, so anlockend, ein unbekanntes Etwas zog mich hinab mit unwiderstehlicher Gewalt. Ich verliess die schone Natur und kroch durch eine kleine Dachluke hinein in den Hausboden. – Hinabgesprungen gewahrte ich alsbald eine grosse, schone, weiss und schwarz gefleckte Katze, die, auf den Hinterfussen sitzend in bequemer Stellung, eben jene anlockenden Tone von sich gab und mich nun mit forschenden Blicken durchblitzte. Augenblicklich setzte ich mich ihr gegenuber und versuchte, dem innern Trieb nachgebend, in das Lied einzustimmen, das die weiss und schwarz Gefleckte angestimmt. Das gelang mir, ich muss es selbst sagen, uber die Massen wohl, und von diesem Augenblick an datiert sich, wie ich fur die Psychologen, die mich und mein Leben studieren, hier bemerke, mein Glaube an mein inneres musikalisches Talent, und, wie zu erachten, mit diesem Glauben auch das Talent selbst. Die Gefleckte blickte mich scharfer und emsiger an, schwieg plotzlich, sprang mit einem gewaltigen Satz auf mich los. Ich, nichts Gutes erwartend, zeigte meine Krallen, doch in dem Augenblick schrie die Gefleckte, indem ihr die hellen Tranen aus den Augen sturzten:»Sohn – o Sohn! komm! eile in meine Pfoten!«– Und dann, mich umhalsend, mich mit Inbrunst an die Brust druckend:»Ja, du bist es, du bist mein Sohn, mein guter Sohn, den ich ohne sonderliche Schmerzen geboren!«—
Ich fuhlte mich tief im Innersten bewegt, und schon dies Gefuhl musste mich uberzeugen, dass die Gefleckte wirklich meine Mutter war, dem unerachtet fragte ich doch, ob sie auch dessen ganz gewiss sei.
«Ha, diese Ahnlichkeit«, sprach die Gefleckte,»diese Augen, diese Gesichtszuge, dieser Bart, dieser Pelz, alles erinnert mich nur zu lebhaft an den Treulosen, Undankbaren, der mich verliess. – Du bist ganz das getreue Ebenbild deines Vaters, lieber Murr (denn so wirst du ja geheissen), ich hoffe jedoch, dass du mit der Schonheit des Vaters zugleich die sanftere Denkungsart, die milden Sitten deiner Mutter Mina erworben haben wirst. – Dein Vater hatte einen sehr vornehmen Anstand, auf seiner Stirne lag eine imponierende Wurde, voller Verstand funkelten die grunen Augen, und um Bart und Wangen spielte oft ein anmutiges Lacheln. Diese korperlichen Vorzuge, so wie sein aufgeweckter Geist und eine gewisse liebenswurdige Leichtigkeit, mit der er Mause fing, liessen ihn mein Herz gewinnen. – Aber bald zeigte sich ein hartes, tyrannisches Gemut, dass er so lange geschickt zu verbergen gewusst. – Mit Entsetzen sag' ich es! – Kaum warst du geboren, als dein Vater den unseligen Appetit bekam, dich nebst deinen Geschwistern zu verspeisen.«
«Beste Mutter«, fiel ich der Gefleckten ins Wort,»verdammen Sie nicht ganz jene Neigung. Das gebildetste Volk der Erde legte den sonderbaren Appetit des Kinderfressens dem Geschlecht der Gotter bei, aber gerettet wurde ein Jupiter und so auch ich!«—
«Ich verstehe dich nicht, mein Sohn«, erwiderte Mina,»aber es kommt mir vor, als sprachest du albernes Zeug, oder als wolltest du gar deinen Vater verteidigen. Sei nicht undankbar, du warest ganz gewiss erwurgt und gefressen worden von dem blutdurstigen Tyrannen, hatte ich dich nicht so tapfer verteidigt mit diesen scharfen Krallen, hatte ich nicht, bald hier, bald dort hinfliehend in Keller, Boden, Stalle, dich den Verfolgungen des unnaturlichen Barbaren entzogen. – Er verliess mich endlich! nie habe ich ihn wiedergesehen! Und doch schlagt noch mein Herz fur ihn! – Es war ein schoner Kater! – Viele hielten ihn seines Anstandes, seiner feinen Sitten wegen, fur einen reisenden Grafen. – Ich glaubte nun, im kleinen hauslichen Zirkel meine Mutterpflichten ubend, ein stilles, ruhiges Leben fuhren zu konnen, doch der entsetzlichste Schlag sollte mich noch treffen. – Als ich von einem kleinen Spaziergange einst heimkehrte, weg warst du samt deinem Geschwister! – Ein altes Weib hatte mich Tages zuvor in meinem Schlupfwinkel entdeckt, und allerlei verfangliche Worte von ins Wasser werfen und dergleichen gesprochen. – Nun! ein Gluck, dass du, mein Sohn, gerettet, komm nochmals an meine Brust, Geliebter!«—
Die gefleckte Mama liebkoste mich mit aller Herzlichkeit, und fragte mich dann nach den nahern Umstanden meines Lebens. Ich erzahlte ihr alles, und vergass nicht, meiner hohen Ausbildung zu erwahnen, und wie ich dazu gekommen.
Mina schien weniger geruhrt von den seltenen Vorzugen des Sohnes, als man hatte denken sollen. Ja, sie gab mir nicht undeutlich zu verstehen, dass ich mitsamt meinem ausserordentlichen Geiste, mit meiner tiefen Wissenschaft auf Abwege geraten, die mir verderblich werden konnten. Vorzuglich warnte sie mich aber, dem Meister Abraham ja nicht meine erworbenen Kenntnisse zu entdecken, da dieser sie nur nutzen wurde, mich in der druckendsten Knechtschaft zu erhalten.
«Ich kann mich«, sprach Mina,»zwar gar nicht deiner Ausbildung ruhmen, indessen fehlt es mir doch durchaus nicht an naturlichen Fahigkeiten und angenehmen, mir von der Natur eingeimpften Talenten. Darunter rechne ich z. B. die Macht, knisternde Funken aus meinem Pelz hervorstrahlen zu lassen, wenn man mich streichelt. Und was fur Unannehmlichkeiten hat mir nicht schon dieses einzige Talent bereitet! Kinder und Erwachsene haben unaufhorlich auf meinem Rucken herumhantiert, jenes Feuerwerks halber, mir zur Qual, und wenn ich unmutig wegsprang oder die Krallen zeigte, musste ich mich ein scheues wildes Tier schelten, ja wohl gar prugeln lassen. – Sowie Meister Abraham erfahrt, dass du schreiben kannst, lieber Murr, macht er dich zu seinem Kopisten, und als Schuldigkeit wird von dir gefordert, was du jetzt nur aus eigenem Antriebe zu deiner Lust tust.«—
Mina sprach noch mehreres uber mein Verhaltnis zum Meister Abraham und uber meine Bildung. Erst spater habe ich eingesehen, dass das, was ich fur Abscheu gegen die Wissenschaften hielt, wirkliche Lebensweisheit war, die die Gefleckte in sich trug.
Ich erfuhr, dass Mina bei der alten Nachbarsfrau in ziemlich durftigen Umstanden lebe, und dass es ihr oft schwer falle ihren Hunger zu stillen. Dies ruhrte mich tief, die kindliche Liebe erwachte in voller Starke in meinem Busen, ich besann mich auf den schonen Heringskopf, den ich vom gestrigen Mahle erubrigt, ich beschloss, ihn darzubringen der guten Mutter, die ich so unerwartet wiedergefunden.
Wer ermisst die Wandelbarkeit der Herzen derer, die da wandeln unter dem Mondschein! – Warum verschloss das Schicksal nicht unsere Brust dem wilden Spiel unseliger Leidenschaften! – Warum mussen wir, ein dunnes schwankendes Rohr, uns beugen vor dem Sturm des Lebens? – Feindliches Verhangnis! – O Appetit, dein Name ist Kater! – Den Heringskopf im Maule kletterte ich, ein pius Aeneas aufs Dach – ich wollte hinein ins Bodenfenster. Da geriet ich in einen Zustand, der auf seltsame Weise mein Ich meinem Ich entfremdend, doch mein eigentliches Ich schien. – Ich glaube mich verstandlich und scharf ausgedruckt zu haben, so dass in dieser Schilderung meines seltsamen Zustandes jeder den die geistige Tiefe durchschauenden Psychologen erkennen wird. – Ich fahre fort! —
Das sonderbare Gefuhl, gewebt aus Lust und Unlust, betaubte meine Sinne – uberwaltigte mich – kein Widerstand moglich, – ich frass den Heringskopf! —
Angstlich horte ich Mina miauen, angstlich sie meinen Namen rufen – Ich fuhlte mich von Reue, von Scham durchdrungen, ich sprang zuruck in meines Meisters Zimmer, ich verkroch mich unter den Ofen. Da qualten mich die angstlichsten Vorstellungen. Ich sah Mina, die wiedergefundene gefleckte Mutter, trostlos, verlassen, lechzend nach der Speise, die ich ihr versprochen, der Ohnmacht nahe – Ha! – der durch den Rauchfang sausende Wind rief den Namen Mina – Mina – Mina! rauschte es in den Papieren meines Meisters, knarrte es in den gebrechlichen Rohrstuhlen, Mina – Mina – lamentierte die Ofenture. – O! es war ein bitteres herzzerschneidendes Gefuhl, das mich durchbohrte! – Ich beschloss, die Arme womoglich einzuladen zur Fruhstucksmilch. Wie kuhlender, wohltuender Schatten kam bei diesem Gedanken ein seliger Frieden uber mich! – Ich kniff die Ohren an und schlief ein! —
Ihr fuhlenden Seelen, die ihr mich ganz versteht, ihr werdet es, seid ihr sonst keine Esel, sondern wahrhaftige honette Kater, ihr werdet es, sage ich, einsehen, dass dieser Sturm in meiner Brust meinen Jugendhimmel aufheitern musste, wie ein wohltatiger Orkan, der die finstern Wolken zerstaubt und die reinste Aussicht schafft. O! so schwer anfangs der Heringskopf auf meiner Seele lastete, doch lernte ich einsehen, was Appetit heisst, und dass es Frevel ist, der Mutter Natur zu widerstreben. Jeder suche sich seine Heringskopfe und greife nicht vor der Sagazitat der andern, die, vom richtigen Appetit geleitet, schon die ihrigen finden werden.
So schliesse ich diese Episode meines Lebens die —
(Mak. Bl.) – nichts verdriesslicher fur einen Historiographen oder Biographen, als wenn er, wie auf einem wilden Fullen reitend, hin und her sprengen muss, uber Stock und Stein, uber Acker und Wiesen, immer nach gebahnten Wegen trachtend, niemals sie erreichend. So geht es dem, der es unternommen, fur dich, geliebter Leser, das aufzuschreiben, was er von dem wunderlichen Leben des Kapellmeisters Johannes Kreisler erfahren. Gern hatte er angefangen: In dem kleinen Stadtchen N. oder B. oder K., und zwar am Pfingstmontage oder zu Ostern des und des Jahres erblickte Johannes Kreisler das Licht der Welt! – Aber solche schone chronologische Ordnung kann gar nicht aufkommen, da dem unglucklichen Erzahler nur mundlich, brockenweis mitgeteilte Nachrichten zu Gebote stehen, die er, um nicht das Ganze aus dem Gedachtnisse zu verlieren, sogleich verarbeiten muss. Wie es eigentlich mit der Mitteilung dieser Nachrichten herging, sollst du, sehr lieber Leser! noch vor dem Schlusse des Buchs erfahren, und dann wirst du vielleicht das rhapsodische Wesen des Ganzen entschuldigen, vielleicht aber auch meinen, dass, trotz des Anscheins der Abgerissenheit, doch ein fester durchlaufender Faden alle Teile zusammenhalte.